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hier in Frage stehen und welche an anderer Stelle in dem Bande, der Böhmen gewidmet
sein wird, ihre Besprechung finden werden, sei nur eine erwähnt die reizendste von allen,
nämlich die des feinen und zierlichen Tafelgeschirrs vom hellsten Krystallglas mit ein
geschliffenen oder eingravirten Ornamenten, welche umsomehr ihrer Entstehung nach als
wienerisch in Anspruch genommen werden müssen, als ihnen die alten Krystallgefäße der
kaiserlichen Schatzkammer direct zum Vorbilde gedient haben. Sie sind heute zur höchsten
Stufe der Ausbildung gelangt.
Ähnlich steht es mit dem Porzellan und den verwandten Fabrikaten von Faience und
Terracotta, welche beiden letzteren übrigens im Vergleich mit Frankreich oder England
künstlerisch weder einen hohen noch einen eigenthümlichen Standpunkt einnehmen. Seit
dem die kaiserliche Porzellanmanufactur aufgehoben, wird in Wien kein Porzellan mehr
sabricirt, wohl aber ist es wiederum Wien, von wo die Motive, die Anregungen, vielfach
auch die Muster und Zeichnungen zur Decoration und Gestaltung des österreichischen
Porzellans ausgehen, — alle Fabriken haben ihr geistiges Centrum in Wien. Aber mehr
noch. Wenn auch in Wien selber kein Porzellan sabricirt wird, so ist doch die Porzellan
malerei geblieben, ein Überrest der kaiserlichen Fabrik, da die Maler fortfuhren auf eigene
Hand zu arbeiten. Und indem sie sich darauf verlegten, die Knnstweise der Sorgenthal'schen
Periode (die etwa 1790 bis 1810 in Blüte stand) fortzuführen, schufen sie mit diesem
blühenden Stile einen neuen Kunstgewerbezweig, dessen Arbeiten durch die ganze Welt
gehen. Es ist zumeist Luxusgeräth, aber auch das feine und feinste Tafelgeschirr wird
wieder in Wien reich und reizvoll decorirt und gilt als Wiener Art.
Wenn aber ein Artikel sich in der Welt als „Wiener Specialität" einen Namen
gemacht hat, so sind es die Galanteriegegenstünde, deren eigentliches Material das Leder
ist, das aber zur Decoration fast jedes andere Material herbeizog, Metalle, Elfenbein,
Porzellan, Holz u. s. w. Mit ihrer Hilfe entstanden jene Prachtwerke von Hüllen und
Decken der Albums, der Diplome, der Adressen, welche auf ollen Ausstellungen eine
Zierde der Wiener Industrie waren. Aber neben ihnen waren die kleineren Gegenstände,
die Kästchen und Cassetten, die Etuis und Taschen, die Mappen und Notizbüchlein, das
gcsammte Gerüth des Schreibtisches nicht minder gern gesehen und gesucht. Was sie vor
den fremden Arbeiten ihrer Art auszeichnete, war stets die Nettigkeit und Sauberkeit der
Arbeit, ihre bestechend gefällige Erscheinung. Dabei litten sie aber auch an den Folgen
der Sucht nach Neuheit. Gezwungen oder wenigstens gewohnt und gedrängt, jedes Jahr
zur Weihnachtssaison etwas Neues ans den Markt zu werfen, erging sich diese Industrie
alsbald in den widersinnigsten Ideen, welche eigentlich die ganze Kunst so auf den Kopf
stellten, daß man weder Material noch Zweck des Gegenstandes erkennen konnte. Von
diesem Fehler ist sie in den letzten Jahren größtentheils befreit worden — sie hat gelernt, ihr