Dem Auftrage gemäss fassen beide Schriften vor Allem die Be-
dürfnisse Englands ins Auge und nehmen daher besonders Rücksicht auf
die Kunstzustände, die Lebensgewohnheiten, die nationalen Begabungen
und Neigungen der Angelsachsen diesseits und jenseits des Weltmeeres.
lm Grossen und Ganzen unterschieden sich aber die Kunstzustä-nde, welche
Semper in England vorfand und seiner Kritik unterzog, nicht so sehr von
den festländischen, dass seine Recepte nicht mit gewissen Aenderungen
überall hätten befolgt werden können, wie es ja auch geschehen ist.
wWissenschaft, Industrie und Kunstr- hat den Charakter einer Denkschrift;
das Manuscript, welchem er den Titel nPractical Art in metals and hard
materials, its Technology, History and Stylesw gegeben hat, ist ein bis
ins Detail ausgearbeiteter Organisationsentwurf, welchen wir einestheils
in dem South Kensington Museum und den verwandten Anstalten, anderen-
theils aber in dem Krystallpalast zu Sydenham wiedererkennen. Rand-
bemerkungen von der Hand des namentlich um die Verbesserung des Kunst-
unterrichtes in England hochverdienten Malers Richard Redgrave erhöhen
den Werth dieser Schrift. (Fßnsguung folgt.)
Zur Frage des gewerblichen Unterrichtes für Mädchen.
Der Bericht der Frau Aglaia von Enderes über nFrauenschulen und
Frauenarbeiten auf der Pariser Weltausstellung 187814 gibt Veranlassung
einige darin enthaltene Daten noch besonders hervorzuheben, welche sich
auf die Frage beziehen, ob Mädchen schon im schulpflichtigen Alter
zur gewerblichen Arbeit herangebildet werden können. Das Bedürf-
niss, dass auch die Volksschule die Mädchen und Knaben für den gewerb-
lichen Unterricht vorbereite, lässt sich nicht aus der Welt schaffen, und
so unangenehm es auch einigen Vertretern der Volksschule sein mag, es
wird doch darauf Bedacht genommen werden müssen, dass den Kindern
der Gewerbsleute durch die Volksschule jene Unterstützung zu Theil werde,
auf welche sie im Gewerbeleben Anspruch machen können. Es ist uner-
lässlich nöthig, auch in Oesterreich auf diese im ä. u de! gegenwärtig be-
stehenden Volksschulgesetzes fast nur angedeutete Frage zurückzukommen.
Besonders in Frankreich, Belgien und Finnland wird heute diese Frage
gründlich ventilirt und zugleich praktisch durchgeführt, und der Auf-
schwung, den gewisse Zweige des Kunstgewerbes in Frankreich genommen
haben, ist wesentlich dem Umstande zuzuschreiben, dass auch in den weib-
lichen Volksschulen in gründlicher Weise für den gewerblichen Unterricht
vorbereitet wird. Wir würden in Oesterreich, speciell auf dem Gebiete
der Spitzenklöppelei, der Porzellanmalerei, der Cartonnagearbeiten etc.
ganz anders dastehen, wenn in unsern Volks- und Bürgerschulen für Mäd-
chen gewerbliche Arbeiten gepflegt würden. Was in Belgien nach dieser
Richtung hin geschieht, erfahren wir aus folgender Stelle des Berichtes:
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ßDie Communalschulen brachten Nutzarbeiten und Spitzen; das
Talent des Volkes trat in diesen letzteren recht deutlich zu Tage. Mädchen
von 12-13 Jahren hatten Dinge von unglaublicher Schönheit und Reinheit
gearbeitet. Der leitende Gedanke, der dieser kleinen Special-Exposition zu
Grunde lag, war der, in möglichst gedrängten Rahmen einen Ueberblick
über alle in den Communalschulen ausgeführten Handarbeiten zu geben
und dieser Gedanke war, unterstützt von der tadellosen Schönheit dieser
Arbeiten, glänzend durchgeführte
Wir empfehlen diese Mittheilungen der vollen Aufmerksamkeit des
Prager Comitäs zur Förderung der Spitzenindustrie im böhmischen Erz-
gebirge. Wenn man in jenen Bezirken dem Beispiele Belgiens folgen
und schon Mädchen im Alter von 12-13 Jahren im Klöppeln von Kunst-
spitzen unterrichten würde, so wird man in wenigen Jahren die Wohlthat
dieser Massregel deutlich erkennen können. Es würde in diesem Falle spe-
ciell die Statthalterei für Böhmen, respective das Unterrichtsministerium die
Frage zu erörtern haben, an welchen Orten und durch welche Lehrkräfte
der Klöppelunterricht in derVolksschule im Erzgebirge ertheilt werden solle.
Dem gewerblichen Unterricht wird in Frankreich, speciell in Paris
eine ganz besondere Aufmerksamkeit geschenkt und vorzugsweise sind es
private Gesellschaften, welche den gewerblichen Unterricht des weiblichen
Geschlechtes pflegen. Bezeichnend für die gegenwärtigen Verhältnisse ist
es, dass sich bei diesem gewerblichen Unterrichte der confessionelle
Charakter der einzelnen Schulen scharf ausprägt. Die in Paris gegründeten
Gesellschaften: "Societe pour l'enseignement professionelle des femmesß
sowie die necole professionelle pratiqueu haben Unterrichtsanstaltan ge-
gründet, in welchen Schülerinnen aller Confessionen zugelassen werden.
Hingegen gibt es eine grosse Zahl von gewerblichen Mädchenschulen,
darunter selbstverständlich die in Menge vorhandenen Klosterschulen,
welche einen specilisch katholischen Charakter haben. Wir ersehen ferner
aus dern Berichte der Frau von Enderes, dass an den weiblichen ge-
werblichen Unterrichtsanstalten in Frankreich den jungen Mädchen eine
Reihe nützlicher Fertigkeiten gelehrt werden, die in Oesterreich in keiner
weiblichen Unterrichtsanstalt in Berücksichtigung gezogen sind.
Die erstere der beiden früher erwähnten Gesellschaften wurde im
Jahre 1856 über Anregung der Frau Elise Lemonnier und zwar unter
dem Titel: uSociete de protection maternelle peur les jeunes fillesn ge-
gründet. Als der Verein Finanziell genug erstarkt war, wurde im Jahre
1862 eine eigene Lehranstalt errichtet und zugleich der ersterwähnte Titel
angenommen. Die Zahl der durch den Verein unterrichteten Schülerinnen
ist seitdem von 4.0 auf 600-700 gestiegen und sind nunmehr vier Lehr-
anstalten in Thätigkeit. Die Mädchen können bereits nach zurückgelegtem
12. Lebensjahre in die Schulen des Vereins eintreten und werden da in
einem fünfjährigen Cursus in der Holzschneidekunst, in der Porzellan-