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Fremder, in Rom hauste er eingezogen, verwunschen, versonnen; niemand kam in
sein Atelier, unvollendet häuften sich Bilder und Skizzen, die uns heute von einem
nimmermüden künstlerischen Durchdenken jener Probleme schmerzensvolles Zeugnis
ablegen.
1887 starb Marees, ein aufgeriebener Mann von fünfzig Jahren. Die lahrhundertaus-
stellung mit ihren fruchtbaren Strandgutwellen brachte ihn aus Vergessenheitstiefen wieder
ans Land. Meier-Gräfe, der von seinen Gegnern sehr ungerecht als ein einseitiger
Fanfarenbläser des französischen Impressionismus verketzert wird, hat sich um die
Belebung dieses ganz ungallischen, unirnpressionistischen, unmondänen und jeder Snob-
Sensation ermangelnden Künstlers mit dem deutschen Menschenkindgesicht größte Ver-
dienste erworben. Er ging versteckten Spuren nach, machte mit Finderglück gute Beute,
vor allem zog er die großen dekorativen Wandbilder des Schleißheimer Schlosses aus dem
Schatten. Sie sind denn auch die Hauptstücke dieser Gedächtnisausstellung.
Die drei Flügelbilder werden hier so gezeigt, wie es Marees sich dachte, in holz-
umkleidete Nischen eingepaßt als Teile der Wand. Das erste Triptyehon stellt die drei
nothelfenden Reiter vor, St. Martin, der mit den nackten Bettler sein Kleid teilt, St. Hu-
bertus rnit Rüden und Roß, der, das Hifthorn neben sich, vor dem geweihten kreuz-
tragenden Hirsch kniet, und St. Georg mit dem gebäumten Pferd vor dem Drachen. Das
Pferd falb, die Rüstung blauschimmrig, überloht vom feuerfarbenen Federbusch, das gibt
vollen koloristischen Klang. Aber das ist Marees nie die Hauptsache, immer bleibt sein
Ziel, die Einstellung der Figur in die Naturumgebung ausdrucksstark als Raumgefühl zu
vermitteln. Als solche Verrnittlungsmotive erkennt er die wagrechte und lotrechte Linie,
sie sind zugleich die einfachsten und klarsten Akzente, um einen Raumausschnitt zu
betonen und beschließend festzulegen.
Um diese Mathematik sinnlich Fleisch werden zu lassen, stellt Marees mit Vorliebe
aufrechte nackte Gestalten gegen liegende und aus diesen Zusammenhängen wählt er
parallelisierend aus der Natur gern das Gegeneinander der Wasserspiegel und der hoch-
stämmigen Bäume.
Beispiele hierfür geben die beiden andern Flügelbilder, die I-Iesperiden und die
Werbung. Sie spiegeln auch die Vorstellungswelt Marees. Es ist die Vorstellung glück-
hafter elysäischer Gefilde, Orpheus-Landschaften mit bogenschießenden Götterjünglingen.
iphigenische heilige Haine mit priesterlichen Jungfrauen und heiligen Reigen.
Dies alles aber nicht schwer pathetisch, sondern erderlöst, gliederleicht, in schwe-
bender Anmutsmusik der Gebärden. Und dabei, wenn auch durch viele Läuterungen
durchgeschrnolzen, immer naturentsprossen, nie blasse Schemen blutarrner Gedanken-
züchtung.
Auf den Hesperiden scheint das Goethe-Wort Fleisch geworden: „Im dunklen Laub
die Goldorangen glüh'n". Und zu den goldenen Bällen im Grünen die nackte Herrlichkeit
des freigebomen Menschenleibes.
Mit reicher blühender Instrumentation wird das variiert, hyrnnisch, panisch klingt
diese Weise voll starker Naturreligion. Dann sieht man in die homerische Welt. Marees
fühlte Meeresstrand, zyklopische Blöcke, Felsgestein und steingetürrnte Bogen und die
Menschen der See mit SchiEen und Netzen elementarisch. Auf den Fresken, die als
Füllungen zwischen den gliedemden Säulen der Wände in der zoologischen Station von
Neapel leuchten, ersteht diese Welt. Unsere Ausstellung bringt die Skizzen. Von unmittel-
barem Atem durchbraust besonders die Barke mit den vier Ruderern. Schwarzhaarige
wilde Gesichter gegen den blauen Himmel, die schwarze Barke, dem unteren Rahmenrand
parallel, gleichsam der Sockel für diese vier paarweis voreinander gestellten skulpturalen
Oberkörper, vom Arbeitsrythmus durchzuckt. Aufrecht stehen sie, nach vorn geneigt und
die steil ragenden Ruderstangen werden zu nervigen Raumakzenten.
Das dekorative Einfühlen des Mythologischen erkennt man dann gut im Ganymed-
Bild. Der Adler füllt im Ovalrahmen den Hintergrund wie eine weiche schwarze Wolke
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