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Volltext: Monatszeitschrift XII (1909 / Heft 5)

tekturveduten, italienische und spanische miteingerechnet, übertroffen. In um 
so grellerem Kontrast freilich stehen dazu die armseligen, jeden Reizes völlig 
baren und unendlich großen neuen Quartiere, Resultate eines geradezu 
rasenden Zuwachses der städtischen Bevölkerung, hauptsächlich zu Beginn 
des XIX._]ahrhunderts. Sie beweisen, wie rasch unter Umständen die Lebens- 
physiognomie eines an geistigen und künstlerischen Kräften reichen Landes 
sich zu verändern imstande ist. 
Der städtische Kern der reichen, alten Kultur Englands zeigt durchwegs 
das Bild der „gewachsenen" Stadt, damit all jene Momente, die für hoch- 
entwickeltes künstlerisches Gefühl sprechen, zum Beispiel beim Verhältnis 
von Platzanlage und Straßenführung. Wo in unseren Tagen der Versuch 
gemacht worden ist, Neues, unter andern Gesichtspunkten Entstandenes an 
alte Schöpfungen anschließen, sozusagen eine Verbindungsbrücke über Jahr- 
hunderte hinweg schlagen zu wollen, wie zum Beispiel zwischen dem Parla- 
mentsgebäude zu London und der Westminster-Abtey, der „Tower-Bridge" 
und dem nahegelegenen, alten und finsteren Königsschloß an der Themse, 
da mißlang der Versuch genau ebenso, als er anderwärts fehlgeschlagen hat. 
Für einen Riesengebäudekomplex profanen Zwecks wie das Parlaments- 
haus, der nicht wie die gotischen Colleges in den englischen Universitäts- 
städten in einzelne, nicht sehr hoch geführte Gebäudegruppen aufgelöst 
werden konnte, sondern schon seines Zwecks halber zu einer kompakten, 
in vertikaler Richtung sehr stark entwickelten Masse werden mußte, passen 
die gotischen Dekorationsformen eben so wenig, als sie sich mit dem Wesen 
einer großen modernen Brücke, mit dem eines Bahnhofs vertragen. Sie sind 
nicht aus dem Wesen der Sache gewachsen, ihr vielmehr aufgezwungen. 
Nürnberg hatte bekanntermaßen einen gotischen Hauptbahnhof. Wie alle 
andern „den architektonischen Stadtcharakter wahrenden", völliges Fehl- 
empfinden verratenden Bauten verwandten Charakters das völlige Irregehen 
solcher Tendenzen illustrieren, tat auch er es in hervorragender Weise. Das 
der städtischen Physiognomie aufgezwungene romanisierende Postgebäude 
in Goslar ist, um ein weiteres Beispiel zu nennen, genau so verfehlt wie die 
Rekonstruktion des mit Historienbildern allerschlimmster Sorte geschmückten 
Kaiserhauses daselbst, von den Neubauten, die zum Teil in der Nähe der 
alten Welfenburg Dankward zu Braunschweig in völlig verkannten mittel- 
alterlichen Formen aufgeführt wurden, von monumentalen Neubauten ähn- 
licher Art in Hannover und so weiter gänzlich zu schweigen. All diese 
Versuche, deutsche wie englische, beweisen nur das völlige Mißverstehen 
der Forderungen einer neugearteten Zeit. Im Prinzip konnte ja die mittel- 
alterliche Baukunst am ehesten Grundlage einer neuzeitlichen werden, denn 
sie ist konstruktiv, weit mehr als die Renaissance, die allzusehr der deko- 
rativen Seite zuneigt. Gerade aber in der Betonung der letzteren liegt der 
Fehler fast aller neueren Versuche, in den Formen mittelalterlicher Bau- 
weise sprechen zu wollen. Man verfiel zu sehr in die Betonung der Schmuck- 
form. G. E. Streets Royal Courts of justice am Strand in London wie eine
	        
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