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Geschmacklosigkeiten, in Deutschland aber brachten die Siege eines großen
Krieges vielen Städten mächtigen industriellen Aufschwung, enorme kapitali-
stische Entfaltung, schärfsten Ausdruck des Niedergangs kulturwichtiger
Dinge. Die weltbeherrschende Melodie galt einzig dem Tanz um das
goldene Kalb.
Wie sollten unter derartig einseitigem Druck künstlerisch bedeutsame
ebenso wie für das Gedeihen nachkommender Geschlechter wichtige Fragen,
zum Beispiel das richtige Verhältnis zwischen bebauten und freibleibenden
Flächen bei nicht monumentalen Erscheinungen zu irgend welchem Rechte
kommen! Damit, daß man riesigen Zinskasten das Aussehen von Monumen-
Abb. 3. Slone-Way in Newcastle-on-Tyne. Typische Anlage eines englischen Arbeiterviertels
talbauten zu geben versuchte, ihre Straßenfronten mit allen möglichen, übel
angebrachten Palastmotiven überkleisterte, die Rückteile aber -vom Inneren
gar nicht zu reden- um so ärmlicher, kläglicher behandelte (was übrigens
noch tagtäglich geschieht), war nach der Ansicht der Bauunternehmer und
Grundspekulanten alles geschehen, was hier überhaupt geschehen konnte.
Und dennoch bleiben diese imposanten Zinskasten weiter nichts als der
Ausdruck einer künstlerisch armseligen, in sozialen Dingen vielfach völlig
irregehenden Zeit. Über dem Studium der Einzelform vergangener Stil-
epochen und deren Verwendbarkeit beim „Komponieren" war den Bau-
künstlern der Blick für das Große, sozial wie künstlerisch unabweisbar Not-
wendige abhanden gekommen. Die Sorte von Kultur, welche aus den vor-
mals geheiligten Ruhestätten der Toten Mietkasernen mit kürzester Kündi-