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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe I (1866 / 4)

sehriebene colorirte Zeichnung vom Jahre MTO, welche zwar nur zwei Figuren, aber an 
denselben die ganze Verkehrtheit der herrschenden Tracht darstellt: einen Jüngling mit 
einer Fülle künstlich gekriiuselter Locken, mit langen Schnabelschuhen und in engster die 
Schultern und Unterarme bloss lassender Kleidung, und eine Dame, welche das Haar unter 
einer Haube wie die Körperformen unter langen weiten Gewändern verhüllt. Der Stutzer 
trug die Kleider so eng, dass er nur mit fremder Hilfe hineinkommeu und dann kaum sich 
bewegen konnte - eine Erscheinung, mit welcher die Vorliebe der Maler für lange magere 
Körperformen und die steifen Bewegungen ibrerFigilren in Zusammenhang zu bringen sind -, 
seine Gewänder waren mit Schellen besäet, die bezeichnend genug dem Narren als Erb- 
theil verblieben, die Schnabel der Schuhe wachsen bis zu einer Länge von zwei oder drei 
Fuss anund selbstdie ritterliche Rüstung kann sich dieser ebenso unpraktischen als unschönen 
Sitte nicht erwehren. Zum langen Haar gehörte Bartlosigkcit. An der Form der Kopi- 
bedackungen, deren man auch zwei über einander trug, um beim Grusse nur den einen 
Hut abzuziehen, kühlte der ausschweifendste Geschmack seinen Muth. Die (in zwei Farben) 
„getheilte Tfracht", ursprünglich das Abzeichen des Lehensmannes, welcher die Farben 
seines Lehensherrn an sich trug, wurde in der bizarresten Anwendung zur Mode oder man 
kleidete sich vom Kopf bis zu den Fiissen in eine einzige Farbe. Die Damen hiillten sich 
in die prachtvollsten schwersten Steife und erfunden die Schleppen, rasirten sich hohe 
Sürnen und versteckten alles Haar unter ungeheuerlichen Hauben und Hüten oder trugen 
es in einer Unmasse von Löckchen, verbergen nicht nur den ganzen Körper, sondern auch 
das halbe Gesicht oder trieben die Entblössung weiter als es jemals sonst geschehen ist. 
Der unerschöpüiche Reichthum an Formen, die Absonderlichkeit und Abenteuerlichkeit 
der Gestalten, die Pracht und der Fsrbenetfect dieser bunten Trachtenwelt spiegeln sich 
in der Kunst des Einfzehnten Jahrhunderts, vorzugsweise diesseitsrder Alpen, ab. Daher 
die Asussarliehkeit und Eitelkeit in der religiösen Kunst dieser Zeit, verbunden mit einer 
in ihrer Art einzigen Tiefe und Reinheit der Empfindung, daher der derbste Humor neben 
dem Ausdrucke ernstester Frömmigkeit, wie z. B. in den Miniaturen zu den Gebetbüchern; 
diejenigen, welche diese Gebetbiicher malten oder dieselben gebrauchten, fühlten sich, meint 
der Redner, in ihrer Frömmigkeit sicher genug, um den Humor unmittelbar daneben ver- 
tragen zu können. Dazu stimmt auch auf den Gemälden der Ausdruck, „der vom Himmel v 
zu stammen scheint", in Gesichtern, welche deutlich genug als Portrsits zu erkennen sind. 
Die Architektur geräth ins Schwanken, die Gothik verlässt ihre strengen Grundsätze und 
wendet die Spielereien der Kleinkunst auf die kolossalen Verhältnisse ihrer Kirchenbauten 
an. Die Wände lösen sich in ein System von Pfeilern, Stäben und Gurten auf, das Ge- 
bäude würde einer oifenenen Halle gleichen, wenn nicht die gefärbten Gliiser auf das Auge 
den Eindruck des Abschlusses machten. Der Spitzbogen entartet, Holz- und Metallama- 
niente werden in sprödem Stein nachgeahmt und iiberwuchcrn in dem Gnade, dass die 
architektonischen Linien verloren gehen. Dabei erstarrt es zu wenigen, schematisch ge- 
stalteten und unermüdlich wiederholten Formen, schrurnpß das Laubwerk zu dürrem Ge- 
üste zusammen. Von der Architektur entlehnte die Kleinkunst das Masswcrk, welches bei 
groslen Verhhltnissen schmückt und belebt und doch bei grösserer Entfernung Klarheit 
und Deutlidlkeit behält, auf kleine Verhältnisse übertragen aber trocken und langweilig 
wird. Die Aermlicbkeit des Ornamente trieb z. B. die Goldschmiedekrmst dazu, das Ziel 
ihrer Kunst wo anders zu suchen, als wo es liegt, indem sie ihren Geflissen die Gestalt 
von Thieren u. dgl. m. gab. Noch näher lag der Tischlerkunst die Nachahmung architek- 
tonischer Formen und diese letzte entartete Periode der gothischen Kunst nahm man sich 
zum Muster, als es vor einigen Jsbrzehentaen Mode wurde, gothisehe Formen wieder auf 
den inneren Hansrath anzuwenden. Dagegen ergeht sich auf den Teppichen, für welche 
das ganze Mittelalter eine grosse Vorliebe hatte, die genrebafte Weltlust, lange bevor sie in 
die eigentliche Malerei eindrang. 
Eben so prachtvoll und reich wurden die gewebten Stoffe zur Bekleidung wie zum 
Behange ausgestattet, aber hier schien eine ganz eigene, vom Naturalismus wie von der 
Nachahmung der Architektur sich gleich fernhaltende Art der Ornarnentation ein eigenes 
Leben au iiihren. Können die schweren Stoffe jener Zeit, die Brocate u. s. w., mit der 
richtigen Vertheilung von Grund und Ornament, der Farbenzusammenstellung, der stylvollen 
Zeichnung stets als Muster dienen, so pulsirt in der Pergamentarabeske das ganze Leben 
der Zeit mit allen widerstrebenden Richtungen. Strenger Styl und Naturalismus und klein- 
liche Spielerei, Pietät und übermüthiger Humor, Heiliges und Profanes wohnen einträchtig 
bei einander. 
Der wunderlichen Welt, welche sich in diesen Miniaturen abspiegelt, sah man es 
an, dass ihr eine Art von Reinigung noththat, ein geistiger Gewittersturm mit seinen wohl- 
thltigen Erschütterungen. Geister und Gewissen waren ausser sich gerathen und mussten 
wieder in sich gekehrt werden, der Geschmack hatte sich verlaufen in eine Menge ver- 
schiedener Anue und Richtungen. Es musste ihm ein neues Bett gegraben werden, und 
in der That hatte sich in Italien bereits ein neuer Geschmack entwickelt, dessen Aus- 
breitung diesseits der Alpen den Gegenstand der zweiten Vorlesung bildete.
	        
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