Nr. 16
INTERNATIONALE SAMMLER-ZEITUNG
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Tuch gehüllt, und die Blicke von Mutter und Kind
kreuzen sich. Ein liebliches Werk aus Niederöster
reich um 1320, in dem trotz der frühen Entstehungs
zeit beinahe schon barocke Drehungsmotive auf
scheinen. Bemerkenswert ist auch die Maria mit dem
Kinde, stehend. (Kat. Nr. 4.) Das Kind, streng iso
liert, auf der linken Hand, Die Komposition ist von
oberrheinischen Vorbildern, namentlich den Figuren
der törichten Jungfrauen der Straßburger West
fassade beeinflußt. Eine imposante thronende Statue
des heiligen Petrus, vollrund, rückwärts flach aus
gehöhlt, wurde als bisher unbekanntes Hauptwerk
Meister Jakob Kaschauers bestimmt, den die
Wiener Urkunden der Zeit häufig nennen. Die Zu
schreibung ergab sich aus dem Vergleiche mit dem
beglaubigten Altar für Freising von 1443.
Schließlich wären sehr viele wundervolle Arbei
ten aus Wien, Kärnten, Steiermark, Oberösterreich
und Salzburg zu nennen, die den Kunstfreund fesseln
werden.
Cin Van Dyk für zehn Schilling.
Ein Oelgemälde, das von den Sachverständigen
Van. Dyk zugeschrieben wird und vor Jahren von
einer Dame in Birmingham für zehn Schilling bei
einem Trödler gekauft wurde, hat letzt in der dorti
gen Kunstgalerie seinen Platz gefunden. Lange Zeit
hing es versteckt auf dem Boden des Hauses der Be
sitzerin, da es zu schmutzig schien, um ihm einen
Platz in den Zimmern einzuräumen.
Das Bild, das als „Porträt eines Edelmannes“
bezeichnet ist, wurde von der derzeitigen Besitzerin
der Kunstgalerie leihweise überlassen. „Bei einem
Besuch eines kleinen Trödelladens 11 , erzählte sie
einem Berichterstatter, „hatten die Augen eines
Porträtbildes meine Aufmerksamkeit erregt, Sie
waren das einzige, das man auf dem schmutzigen
Bilde klar erkennen konnte. Aber sie waren so aus
drucksvoll, daß ich mich zum Ankauf des Bildes ent
schloß und es nach längerem Feilschen für zehn
Schilling in meinen Besitz brachte. Der Händler
hatte keine Ahnung von seinem Schatz, Als ich vor
Jahren einige Bilder einrahmen ließ, erbot sich der
Einrahmer, das alte Bild zu reinigen. Bei dem Säube
rungsprozeß machte das Bild schließlich, solchen Ein-
; druck auf ihn, daß er es photographierte und einen
Abzug dem Direktor der Galerie einsandte, der so
fort den Wert des Bildes erkannte.“
Der höchste Preis für einen Van Dyk wurde
1928 mit 30.000 Pfund Sterling erzielt.
Verkauf der Dietrichsteinschen Bibliothek.
Aus Prag wird uns geschrieben:
Wie nun bekannt wird, hat der Ministerrat die
Zustimmung zum Verkauf der berühmten fürstlich
Dietrich steinsehen Bibliothek in Ni
kol s b u r g gegeben. Allerdings werden vorher noch
einige besonders wertvolle Bohemica, 40 Inkunabeln
und 115 Handschriften, vom tschechoslowakischen
Unterrichtsministerium erworben werden. Die Biblio
thek soll nach Wien verkauft werden.
Fürst Dietrich stein, der mit einer Tochter
des Fürsten Dolgoruky, des Obersthofmeisters des
letzten Zaren Nikolaus II, verheiratet ist und viel
im Ausland lebt, hatte die Nikolsburger Bibliothek
schon vor dem Weltkriege ins Ausland veräußern
wollen, doch hatte das Denkmalschutzamt in Wien
dagegen Einspruch erhoben. Die Bibliothek, die in
dem auf einem Felsen errichteten Schloß unterge
bracht ist, enthält 20.000 Bände, darunter sehr kost
bare Frühdrucke und Handschriften.
Das unsichtbare Bild.
Ein sehr interessanter Erbschaftsstreit, der viel
fach wie ein Abschnitt aus einem phantastischen und
wirklichkeitsfernen Roman anmutet, beschäftigt der
zeit die Londoner Richter. Der Fall ist juristisch
auch deshalb außerordentlich interessant, weil er so
ziemlich ohne Präzedenzfall in der englischen Judi
katur dastehen dürfte,
Ueber die Vorgeschichte des Prozesses wird
folgendes gemeldet: William Rio tau, früher fran
zösischer Staatsangehöriger, der seit langem in Eng
land lebt, besaß früher ein Unternehmen, das sich
mit Exporthandel befaßte. Riotau hat sich im Laufe
der Zeit so viel Vermögen erworben, daß er in den
ersten Nachkriegsjahren den Entschluß faßte, sich
nunmehr von dem Erwerbsleben zurückzuziehen und
sich ganz seinen Privatpassionen zu widmen. Er be
saß eine Privatjacht, mit der er größere Fahrten
machte; überdies beschäftigte er sich mit der Berei
cherung seiner Gemäldesammlung, die manche schö
ne Stücke enthielt. Jahr für Jahr gab er mehrere
tausend Pfund, insbesondere für Miniaturen, aus und
seine Privatgalerie in seiner Villa bildete einen Treff
punkt für seine kunstverständigen Freunde. Riotau
war unverheiratet, 1925 beschloß er nun, ein Testa
ment zu machen. Den größten Teil seines Vermögens
vermachte er zwei Verwandten: Jean und Louis
Riotau, den zwei Söhnen seines verstorbenen
Bruders. Ueberdies bedachte er allerlei Wohltätig
keitsanstalten mit Legaten. Am meisten Sorge be
reitete ihm das Schicksal seiner Galerie; schließlich,
nach längerem Zaudern, beschloß er, die Galerie auf
die zwei Brüder aufzuteilen und testamentarisch zu
verfügen, daß der Großteil der Bilder, insbesondere
die wertvollen, Louis Riotau zufallen, bei dem der
alte Herr mehr Kunstverständnis voraussetzte als
bei seinem Bruder Jean. Um jedoch den Anschein zu
vermeiden, daß er Louis Jean bevorzuge, wurde im
Testament bestimmt, daß die weiteren namentlich
angeführten Bilder in das Eigentum von Jean Riotau
überzugehen haben.
Im Jahre 1932 ist nun William Riotau hochbe
tagt — er erreichte 72 Jahre — an einer Lungen
entzündung gestorben. Das Testament wurde er
öffnet und dessen Bestimmungen ordnungsgemäß
durchgeführt, Louis Riotau erhielt die wertvollen
Bilder der Galerie, während Jean Riotau sich mit