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ILLUSTRIERTE GESCHICHTE DES KUNST-
GEWERBESPFSIPVON HARTWIG FISCHEL-WIEN
IE Errungenschaften moderner kunstgewerblicher Be-
tätigung müssen ihre Rückwirkung auf die wissen-
schaftliche Forschung ausüben. Künstlerische
Auffassungen und Anschauungen sind häufig der
wissenschaftlichen Tätigkeit vorausgegangen. Der
Künstler hat Anregungen aus Epochen und Ge-
bieten aufgenommen, die wissenschaftlich lange
Zeit gering geschätzt wurden und darum ein wenig
beachtetes Arbeitsfeld bildeten.
Unsere Wertschätzung von Leistungen und
Qualitäten hat sich dadurch fortwährend geändert.
Ganz besonders ist das Kunstgewerbe in dieser Hinsicht in Mitleidenschaft
gezogen worden. Beweglicher, anpassungsfähiger und bereitwilliger wie die
hohe Kunst hat die angewandte Kunst, die Bildung der Geräte und der
schmückenden, der dekorativen Elemente den Bedürfnissen geänderter
Lebensverhältnisse folgen können. Und wie in ältesten Zeiten Umwandlungen
im Kunstgewerbe dem Wechsel der Ziele hoher Kunst vorauszugehen pflegten,
so hat auch in unseren Tagen die auf die Bedürfnisse des Tages angewandte
Kunst zuerst von neuen Ideen Besitz ergriffen.
Wir sind heute schon so weit, daß wir einen Rückblick auf die Ent-
wicklung der jüngsten Phase des modernen Kunstgewerbes von historischen
Werken verlangen können.
Es ergibt sich auch das Bedürfnis, den organischen Zusammenhang
dieser neuesten Tätigkeit mit der Entwicklung des gesamten Kunstgewerbes
zu dokumentieren. Andrerseits macht das in solchen Perioden stets lebhafter
werdende Kunstinteresse den Wunsch lebendig, dort auch für weitere Kreise
den historischen Werdegang nachzuweisen, wo am häufigsten das Urteil
auf die Probe gestellt wurde.
Seitdem Bruno Bucher im Verein mit j. Brinckmann, A. Ilg, J. Lessing
und anderen seine wertvolle Geschichte der technischen Künste herausge-
geben hat, ist vieles anders geworden. Die Hilfsmittel der Kunstwissenschaft,
die Reproduktionstechniken und die Sammlungen, die Fachliteratur und
damit unser Fachwissen sind erheblich gewachsen. Auch unser Standpunkt
gegenüber den Resultaten der geschichtlichen Betrachtungsweise hat sich
merklich verschoben.
Während man damals noch in der Auffindung, Beschreibung und
Anpreisung von Vorbildern den wichtigsten Zweig der Tätigkeit aller
"' Illustrierte Geschichte des Kunstgewerbes. Herausgegeben in Verbindung mit Wilhelm Behncke,
Wilhelm Braun, Moriz Dreger, Otto von Falke, Josef Folnesics, Otto Kümmel, Erich Pernice und Georg
Swarzenski von Georg Lehnen. In zwei Bänden. Berlin, Martin Oldenbourg. B", VIII, 656 und VIII, 896 S. w
(Die Illustrationen zu diesem Aufsätze sind mit freundlicher Zustimmung des Verlegers dem genannten
Werke entnommen.)