Weite. Theodore Rousseaus Paysage intime drückt diesen Begriff sehr rein, voll Frieden
und Stille aus, und Troyons Weideland mit Kühen, ein scheckig-ileckiges Tierstiick in
Wiesengriin und Himmelsgrau eratmet, strotzig, leibhaftig. Und bei alldem denkt man an
das Wort Amiels: „Die Landschaft ist ein Seelenzustand!"
Theatralisches gibt's aber auch im Ausland. Gerömes Tempelmauer, gelbrissig,
quadrig mit graugriinen Grasbiischeln dazwischen und den klagenden Juden davor, ist
eine Operndekoration, doch keine schlechte, und Roybets Cavalier, gestiefelt, gespornt, im
Federhut und wippender Gerte ist eine Opemiigurine.
Klasse hat des Belgiers Stevens Damenbildnis: weißes Kleid mit vier Volants,
Bergerehut, aus zurückfallender Spitzenmanschette adlige Hände, die eine Zitrone über
einem Glas ausdrücken. In der tonigen Harmonie ein grüner Stuhl mit roten Blumen. Und
als ein dunkelglühendes Phantasiestück ragt Eugene Delacroii Auferstehung des Lazarus:
tief. abgründig die Schlucht des Felsengrabes und auftauchend aus nächtigem Dunkel die
purpurne Gloria Christi im Flammenschein und rotem Mantel über weißem Gewand.
Im Künstlerhaus hatte die dekorative Ausstellung des Plastikers St. Lerche einen
großen und wohlverdienten Erfolg.
Ein vielseitiges Reich öffnete sich. Man sah interessante Keramiken mit Dekor
aus Plianzen- und Tiergebilden der Tiefsee. Die Wunderwelt des Neapeler Aquariums
spiegelte sich auf den Wandungen dieser Schalen und Vasen wider. Und dieser Dekor
hatte nichts Zufälliges, er wirkte ganz organisch; denn die grüngelblich fließenden Glasuren
der Poterien in ihren feuchten, triefenden Tönen haben etwas vorn Element des Wassers,
und sie geben den in ihnen schwimmenden, tauchenden, wallenden Gebilden ein illusionisti-
sches Klima.
Keramische Skulpturen und Masken spiegeln voll barocker Phantastik Zwischen-
reichsgeschöpfe, Elementargeister.
Daneben physiognomiehafte Porträtplastik. Papst Leo XIII. auf der Sedia thronend,
gleich einem I-Ieiligenbild, und sein Nachfolger, Pius X., kniend vor einem Betstuhl,
während sich die priesterlichen Gewande faltenschwer ausbreiten. Süditalienische Rasse-
gesichter sind in Bronze gebannt, und lebendige Kindergruppen schauen aus Majolikarund-
bogen in der Luca della Robbia-Art.
Lerche komponiert auch Schmuck: Fingerringe aus gewundenen Leibern; Türkisen,
von Pfauen mit transparentem Gefieder gehalten; Moosachat-Vignetten im Geliecht von
Silberspangen.
Die Akademieausstellung der französischen Kunst des XVIII. Jahrhunderts ist zur Zeit
das Reizvollste, was Berlin bieten kann.
Man wandelt zwischen gobelinbehangenen Wänden; edles Mobiliar, Louis-XV,
Louis-XVI, aus Marquetterie, oder auch prunkvolle Boullestücke sind verteilt; Skulpturen
beleben den Raum, darunter die Voltaire-Büste von Houdon - sie gehört der preußischen
Akademie der Wissenschaften - mit dem espritdurchspielten Gesicht und den im Profil
unheimlich-dämonisch lebendigen epigrarnmatisch-boshaften Lippen.
Und all das ist nur die Begleitung zu der Fülle der Gesichte, die aus den Bildern
nieclerstrahlt.
Durch die Flucht der Säle hindurch leuchtet als Point de Vue, effektvoll flankiert von
zwei rotbrokatenen Kavalieren, Madame Pompadour von Boucher, auf dem Kanapee
sitzend mit einem aufgeschlagenen Buch in der lässig sinkenden Hand. Die Pracht des
Bildes ist die Hutende Kaskade des blaßblauen rosengemusterten Kleides, abgehoben von