VI. Jahrgang
ARCHITEKTONISCHE MONATSHEFTE
ItilSr.üä
Heft 4
Architekturskizze.
Architekt Fr. Matouschek, Wien.
und dte Lmgangsformren einen sittlichen Einfluss aus. Je mehr Klang und
Farbe auf uns einwirken, je feiner die äusseren Reize, desto vielseitiger und
zugleich abgerundeter entwickelt sich der Gesammtorganismus. Darauf muss
das Hauptgewicht gelegt werden. Auf die in schönen Häusern und Strassen
verkehrenden Menschen werden die farbigen Häuser sozusagen — wenn auch
der Anstrich längst ganz trocken geworden ist — immer noch »abfärben« !
Im Rahmen einer allgemeinen Betrachtung können wir nur Anregungen
geben. Wenn sie zu praktischen Versuchen und Thatsachen Veranlassung
geben, so haben sie ihren Zweck erfüllt.
Wir haben die Farbe wieder in ihr
Recht einzusetzen, das ist die nächste Auf
gabe unserer Generation. Bunte Häuser zu
haben, ist viel leichter, als wir es uns
denken, weil wir gar nicht mehr an ihren
Anblick gewöhnt sind. Uns fehlt nur der
Muth dazu.
Neue farbige Häuser zu bauen, kann
nur dem hochbegabten, schöpferischen Bau
künstler gelingen. Seit Kurzem sind in
Wien zwei solche neue Häuser geschaffen
worden: die Neubauten des Ober-Bauraths
Otto Wagner in der Magdalenenstrasse.
Obwohl diese gewaltigen, vielstöckigen
Bauwerke nur gewöhnliche »bessere Zins
häuser« sind, übertreffen sie Alles, was
bis jetzt auf diesem Gebiet geleistet worden.
Sie tragen den Stempel einer schöpferischen
Kraftentfaltung an sich, die eine Cultur-
mission zu erfüllen sich bewusst ist. Jeder
Quadratfuss strotzt von Gedankenfülle und
ragt aus der Gegenwart weit in die Zu
kunft hinein. Durch das Uebermass an
drängenden Ideen leidet hie und da die
klare Einfachheit des Ganzen, die in der
constructiven Grundlage enthalten ist. Aber wer will dem Künstler das nachrechnen und ’ zum
Vorwurf machen? Wer die Ideenarmuth bekämpft, muss vor Allem über Ideenreichthum gebieten,
wie ein verschwenderischer Herrscher. Das thut Wagner, und wenn man zwischen Armuth oder Ueber-
reichthum, zwischen einem »zu wenig« oder »zu viel« wählen muss, kann die Entscheidung nicht
schwer fallen. Ich gestehe, dass die breitausgreifenden, wildverschlungenen und die ganze Front
überlaufenden Pflanzen- und Rankenmotive an dem zweiten (buntfarbigen) Hause etwas Beun-
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(Grundriss zu Tafel 32.)
ruhigendes, wenigstens in der' Nähe, haben,
ln grösserer Entfernung geht das Muster, durch
das Zurücktreten der Einzelheiten, ruhiger und
organischer zusammen, indem die doldenartigen
rothen Blüthenbündel gewissermassen als Stütz-
und Knotenpunkte hervortreten. An dem weiss
goldenen Haus scheint, meinem Empfinden nach,
bei den vielen Profilmedaillons und den grossen
Palmenwedeln über ihnen des Guten ein wenig
zu viel gethan. Sie stehen mit dem Zweck und
Charakter der Etagenhäuser doch in zu losem
Zusammenhang, um nicht zu sagen, im Gegen
satz; ich kann sie mir nur aus einer wahren
Springflut von Schaffenslust heraus erklären,
welche Miethhäusern einen festlich-glänzenden
Schmuck wie zum Empfang eines Siegers ver
liehen hat. Hieher gehören auch die beiden
herrlichen vergoldeten Eckfiguren, welche den
Jubel über die eigene Schöpfung hoch über alle
Dächer hinausrufen! Aber diese aufjauch
zende und berauschende Siegesfanfare muss
jeden freien schaffenden Geist packen und hin-
reissen, der Kraft und Selbstbewusstsein auch
an Andern zu ehren vermag. »Nur die Lumpe
sind bescheiden, Brave freuen sich der That«.
Wenn diese Goldfächer und Voluten im
Sonnenglanz leuchten und flimmern, sind sie
unwiderstehlich. Dann glaubt man auch an
die aufbrechenden, das Ganze krönenden
Palmen, die ich stark im Verdacht habe, der
erste impulsive Gedanke des Künstlers, ge
wissermassen das »Wagner’sche Leitmotiv« ge
wesen zu sein.
Die vielseitige Anwendung und Ausnützung
farbiger Kacheln in der Front des anderen
Hauses fordert unsere freudige, rückhaltlose
Anerkennung. Künstlerisch sowohl wie stofflich (als Aussenmatcrial)
hat die Kachel nicht nur eine Zukunft, sondern Wagner hat sie mit
einem Schlage so überzeugend in den Vordergrund gerückt, dass
sie die ihr gebührende Rangstellung jetzt überall in kürzester Zeit
erobern kann und wird. Unglaublich kühn, frei und anmuthig sind
diese Kacheln bei den grossen grünen Blatt- und Stengelwinden
an den Seitenveranden zur Anwendung ge
bracht. Auch an der strengen, festlich-feierlichen
Pracht des Musters am Hauptgesimse wird ein
gebildetes und empfängliches Auge zu schwelgen
nie ermüden.
Die Raumbeherrschung und Anordnung
der Fagaden; die einfachen Fenstereinschnitte in
ihrer organischen Gliederung zum Ganzen; der
prachtvolle runde Eckbau mit seinen Ver
kürzungen; das alles gehört in das Gebiet
rein architektonischer Qualitäten, die über die
engeren Grenzen meines heutigen Themas
hinausgreifen.
Der ganze untere Theil der Häuser steht
noch in der »Holzumrahmung«. Sobald die
Stellagen fallen und die Gebäude frei und fertig
dastehen werden, wird uns Allen die Erkenntnis
dessen aufgehen, was hier geleistet worden ist.
Otto Wagner’s farbige Häuser sind die
Grund- und Ecksteine einer neuen Cultur-
entwicklung.
Neue Wettbewerbe.
Architekturskizze. Architekt Fr. Matouschek, Wien.
Die Gemeinde Fechenheim bei Frank
furt a. M. eröffnet einen Wettbewerb für deutsche
Architekten zur Erlangung von Skizzen zum Bau
eines Rathhauses. Zur Vertheilung gelangen
1300 Mark. In Aussicht genommen sind zwei Preise
in Beträgen von 800 und 500 Mark, doch können auch
zwei gleiche Preise von 650 Mark zur Vertheilung
gelangen. Die Gemeinde behält sich den Ankauf von
Plänen vor, die nicht mit einem Preise bedacht worden
sind. Der Ankaufspreis beträgt 300 Mark. Als Einlieferungstermin für die
Skizzen ist der 15. Mai 1900 festgesetzt. Die Wettbewerbs-Unterlagen sind
beim Bürgermeister gegen Einsendung von 1 Mark zu erhalten.
Für den Neubau einer evangelisch-lutherischen
Kirche in Hannover erlässt der Kirchenvorstand der Dreifaltigkeits-
Gemeinde ein Preisausschreiben unter den deutschen Architekten. Es ge-