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Objekt: Monatszeitschrift III (1900 / Heft 7)

nicht mehr bange zu sein braucht, sich an diesen Ausstellungen überhaupt noch betheiligen 
wollen. Aber so stark ist die conservative Strömung geblieben, dass die LondonerAcademy 
noch immer den Künstlern wie dem Publicum zurBegründung undErhaltung künstlerischen 
Ruhmes unentbehrlich scheint. 
Eigenthümlicherweise sind drei der meistgenannten Maler dieses Jahres Amerikaner, 
obwohl sie ihrer Entwicklung und ihrem gewählten Aufenthalte nach recht wohl zu den 
Engländern gezählt werden können: E. A. Abbey, J. S. Sargent und J. J. Shannon. Der 
erste ist ein sogenannter Costüme-Maler. Seine Freude an der malerischen Tracht 
vergangener Zeiten, an den leuchtenden Farben alten Hausrathes und Mobiliars, tragen 
vielleicht mehr zur Wahl seiner Gegenstände bei als die Überzeugung von der Bedeutung 
des Ereignisses odervon derWahrscheinIichkeit derDarstellung. Doch finden englische und 
amerikanische Kunstfreunde noch immer Freude an derartigen Geschichtsbildem und 
seine diesjährigen Leistungen, die Verurtheilung der Königin Katharina und die Busse der 
Herzogin Eleonore of Gloucester, wurden ob ihrer schönen Mache viel bewundert. Mehr 
Aufsehen, theilweise Begeisterung, hat Sargents grosse Porträt-Gruppe, Lady Elcho, 
Mrs. Adeane und Mrs. Tennant darstellend, gemacht. Die drei jungen Frauen sind in 
modernen Toiletten, in welchen verschieden getöntes Weiss und Grün verwaltet, in dem 
l-Ialbdunkel eines Londoner Salons sitzend dargestellt. An der Wand ist ein Porträt der 
Mrs. Percy Wyndham, der Mutter der drei Schwestern, von Watts, erkennbar. Es war 
naheliegend, dass die Kunstkritik sofort das berühmte Gruppenbild der drei Schwestern 
Ladies Waldegrave von Reynolds zum Vergleiche heranzog, ein Vergleich der, was die 
Stufe künstlerischen Wertes anbelangt, müssig, sonst aber vielfach interessant ist. Es ist 
jedenfalls merkwürdig, wie der Typus menschlicher Schönheit und Anmuth in England 
seit diesen hundert und soviel Jahren constant geblieben ist. Wenn etwas zu bemerken ist, 
so ist es eine Verfeinerung der Züge bei Vergröberung der Arme und Hände, sowie 
eine Verlängerung des Körpermasses, die ja überhaupt in den oberen und mittleren 
Schichten Englands auffällig ist. Jedenfalls ist Sargents Bild ausserordentlich interessant 
in Technik und glänzender Wirkung und wird nicht mit Unrecht „the performance of the 
year" genannt. 
Die gleiche Idee der Porträtgruppe hat einem längst bewährten englischen Künstler, 
W.A.Orchardson, das im gleichen Saale befindliche grosseGemälde: WindsorCastle,189g, 
eingegeben. Die greise Königin sitzt in einem der Gemächer von Windsor, hinter ihr steht 
der Prinz von Wales, während von rechts der Herzog von York den kleinen Prinzen 
Edward aufmuntert, seiner Urgrossmutter einen Blumenstrauss zu überreichen. Die ganze 
Handlung der lebensgrossen Figuren ist auf eine grosse Fläche vertheilt, die Details des 
lnterieurs sind mit Sorgfalt wiedergegeben. Das Bild ist von der Kritik sehr verschieden 
beurtheilt worden und es mag sein, dass manche Vorzüge der Malweise des Künstlers 
durch das übergrosse Format gelitten haben. Aber auch ohne sich von den gerade jetzt 
mächtig pulsirendenloyalen Gefühlen für die königliche Familie beeinflussen zu lassen, muss 
Orchardsons Bild als ein nicht gewöhnliches künstlerisches Ereignis bezeichnet werden, 
schon deshalb, weil es zeigt, wie auch das moderne Interieur und die moderne Alltagstracht 
sich zu Darstellungen von historischer Bedeutung eignen. 
Der dritte der vorgenannten Amerikaner, J. J. Shannon, ist durch mehrere Porträts 
vertreten, unter welchen das des Lord Manners durch Kraft und Charakteristik 
hervorsticht. Shannon liebt es, in graublauen neutralen Tönen zu malen und ist vielleicht 
weniger englisch als seine beiden Landsleute. Er ist jedenfalls originell und nimmt im 
LondonerKunstleben eine mitRecht angesehene Stellungein.V0n derRoyalAcademyrnöchte 
ich nur noch ein reizendes Kinderbildnis, Margaret Frances Greaves von H. H. La Thangue, 
nennen, entzückend in der Einfachheit und ungesuchten Naivetät der Darstellung. 
Im Gegensatze zur Royal Academy bringt die New Gallery in Regentstreet immer 
nur eine kleine und meist gelungene Auswahl zeitgenössischer Bilder, welche gut aufge- 
hängt dort weit besser zur Geltung kommen. Auch heuer enthält sie meist Gutes und
	        
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