6 Emilie Mediz-Pelikan, Hof am Fluß. 1904. Mischtechnikl
PapierlKanon. 46 x 80 cm. Sign, und dat. nKrems E. Pelikan
Juni 19041
roisch gestimmtes Bildnis einer geologischen Persön-
lichkeit. Wie der breite Eisstrom als ungeheures S
zwischen seinen Felsengestaden talwärlszieht, das hat
etwas Typisches. Dabei fühlt man den Föhn, in dessen
weicher Wärme alles schmilzt. schwitzt. rinnt. Die Eis-
spitze dariiberweg ist die nschwarze Wand". Man
begegnet ihrer kühnen Zacke auf manchem dieser Bil-
der, und sie hat auch ein Gegenüber. mit dem sie sich
durch eine große Linie verbindet. Verbinden würde,
wenn nicht ein fremder Berg sich davor schöbe. Nun,
diesen Berg hat Frau Emilie im nHochthalk beseitigt und
an seine Stelle die große runde Nebeisonne gesetzt.
Dieser Zug mag zeigen, wie die beiden die Landschaft
sichten, ordnen, bauen. Photographen sind sie nicht.
Auf einem großen Bilde Emiliens. Ruine nDürnsteinit,
sieht man das ganze Donautal mit seinen Auen und
Uferdorfern als silbergrau dunstigen, luftigen Prospekt
in der Tiefe schweben; beinahe schon eine Luftballon-
wirkung. Schade, daß das Bild etwas seifig gemalt ist.
Ich ziehe ihre Bildervor, wo die Tiefen und Höhen weni-
ger ins Naturferne gerückt sind. Etwa so. wie in jenem
"Hochthalii der üppige Blumengrund, in dem die bunten
Kühe weiden. Man blickt aufdiesen StreifenAlpenmatte
nieder,unddasAugespürtordentlich.daßsieausnichts
als Blumen besteht. So sind auch die Meerestiefen, in
denen beide schwelgen. Am Fuße der purpurbraunen
Felsen von Duino(Karls wRuine am Meeriqsieht man ein
Wasser voll dunklen. blaugriinen und grünblauen Far-
benspiels. Ebenso in Emillens Meeresweiten, den dal-
matinischen, korfiotischen, triestinischen. Zwei große
Bilder bei Triest füllt sie nur mit See und Luft, mit einer
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vMeeresdämmerung in Silber: und einer "Meeresdäm-
merung in Blau-i. Meer und Himmel, jedes der beiden
scheintsich in dem anderen zu spiegeln. Das leise Spiel
der Elemente lockt beide Künstler, rnitzuspielen. Man
sieht bei Karl Mediz genau, wie die weichen, weißen
Schiroccowolken sich fächerförmig ausspinnen, so
über dem oft gemalten arco natu raie auf Lacroma ("Das
Badu). Und überder Hohenloheschen Burgruine Duino
krauseln sich am Abendhimmel feurige Arabesken, der
sogenannte nWetterbaumu.
Diese ganze Atmospharik beider Künstler ist mir um so
lieber, je weniger sie sich ins Abstrakte heben will. Eine
Phantasienatur, wie beim alten Watts, muß angeboren
sein, von selber kommen; experimentell erreicht man
sie nicht. Daß der Künstler daran glaubt, überzeugt den
Beschauer noch nicht, und wenn er nicht überzeugt ist.
will er auch nicht glauben, daß der Künstler daran
glaubt. Selbst bei den nEiSrieSemi steht das helle stilisti-
sche Eisgebirge hinter den so greifbaren Figuren, wie
die grau in grau gemalten Gebirgsprospekte bei den
lschler Photographen. Statt menschlicher Körperlich-
keit, die sich sovon Luft und Luftartigem abhebt, mag es
auch wohl eine mineralogische oder pflanzengeogra-
phische Persönlichkeit sein. Eines jener erstaunlichen
Felsgebilde der adriatischen Küste, die an Cyklopen-
hand gemahnen, mächtige Wände wie aus bunten
Achatquadern. Bogen wie aus Karneolblöcken. Karl
Medic hat manches solche Motiv breit hingemörteit.
Und Emilie setzt sich einmal vor das Grottenloch von
SLCanzian beiTriestund konterfeitjeneganzebuntver-
witterte Karstphysiognomie treulichst ab, Zug für Zug,
mit all den Einfällen und Zufällen, die sich verkar:
Kalkgestein erlaubt (wZur Unterweltw). Das ist ein
die voll durchdringender Wahrheitsliebe. Ode
Objekt ist eines jener gemischten Gebilde, in l
Stein und Pflanze, Natur und Menschenwerk sich'
einem massiven Blumenstrauß vermahlen. Da:
jene südlichen Strandpalazzini und lnselkiöstt
ihren hellen Säulen und Bogen zwischen dL
Cypressen und Pinien, sfarrend von graublauen
tus, wallend von silbergrauen Schleiern der C
haine. durchwuchert und übersponnen von hellt:
Glycinien und dunkelgrünem Kissos.
So malt etwa Karl Mediz nDas Klostera. Es is
berühmte Einsiedelei auf der Mausinsel bei Korfc
Eilande, das man für Bocklins Toteninsel zu l
pflegt. Aber Max Klinger weiß von Böcklin selbs
diesersein Motivvon den Ponzainseln bei Neapeli
hat. Die Mausinsel, das versteinerte Schiff der
aken, wie es tief unten in dertiefblauen Bucht lieg
Mediz einmal auch im Niederblick, zwischen dt
Efeugehängen hindurch. gemalt. Diese Darstelli
greifen natürlich schon in Böcklins Gebiet über.
und Pflanzegleich plastisch,aberauchgleichfarb
Natur als Gesamtkünstierin. Aber, möchte man tr
hat nicht jene Naturviel von Böcklin gelernt? An d
Geist ist dort ewig nicht mehr vorbeizukomme
Mediz ist der besondere Zug vor allem wieder, (
unvermerkt ins kleinste geht. Jede seiner Cypress
für das gemeine Auge gibt es nichts Uniformen
Cypressen und Pappeln - ist eine Person für sic
scheinbar so gleichen Wipfeln sind jeder nach :
7 Emiüie Medlz-Pelikan. Das weite Gelreidsland, 1904. Misch-
lechnikIPapieHKartorLM ,5 x 54,5 cm Slgn. unddat. "E. PeH-
kan Juni 1904 Ber (im
besonderen Samtigkeit, Ruppigkeit, Oberflächlichkeit
oder Zerwühltheit, strotzend oder krankelnd. melan-
cholisch cdersanguinisch charakterisiert Und dabei ist
ihr Sprießen. das bewegte Leben in ihrem Organismus,
ersichtlich gemacht. Gerade wo andere zu malen auf-
hören, fängt Mediz erst recht an. Wo der nackte Stamm
beginnt und sich teilt, spaltet, ins Unendliche zerfasert,
Sammelname wird und dabei Abenteuer erlebt in Wind
und Wetter und Sonnenglut. Der Cypressenstamm
erzählt seine Lebensgeschichte. Das hindert übrigens
nichtdaßmanchedieserBildertrotzdem etwas Dürres.
Blechernes, Silhouettenartiges behalten. S0 nEin Park-i,
"Glycinienbrunnenrr und noch andere. Auch diese
Ansichten sind oft frei komponiert. mit Benutzung ein-
zelner, eigentümlich poetischer Gegenstände, wie
eben jenes Glycinienbrunnens: die blumengespren-
kelte Parkgeometrie, in die er diese lebendige Fontäne
aus hellhimmelblauen, seidigwallenden Blütendolden
hineingestellt hat, ist Variationenspiel über ein dortzu-
lande gegebenes Thema. Auch Frau Emilie hat ihre
Lieblingsbäume. Mit Passion geht sie in ihren bunten
Kreiden den Capriccios des Ölbaums nach. Aber viel-
leicht noch lieber sind ihrgewisse Bäume und Pflanzen.
die gemeiniglich als langweilig verschrien sind. Wenn
sie ihre zierlichen Studien von Gräsern und Halmpflan-
zen, auch von Papyrusstauden macht, ist ihr merklich
japanisch zumute. Auch wenn sie die fadenfein gefie-
derten Zweiglein der Lärche dünn und dicht und senk-
recht niederhangen Iäßt. Echt deutsch aber ist sie in
ihren blühenden Kastanienbäumen, die sie, unbeirrt
von all dem Gestarre und Gewimmel eines gleichmäßig
ausgestanzten Laubes als eine große, plastische, in
Licht und Schatten gegliederte Masse von eigenem For-
mengeist zu sehen weiß. Ein Prachtstück mit zwei sol-
chen Bäumen an flachem Seegestade. aus Sizilien
geholt, hat die österreichische Regierung enuorben.
Solche Baumindividuen auf eine Terrasse am Meere
hinzustellen, Kübelbäume etwa und kletternde Glyci-
nien als blaue Arabeske darüber, das ist ein Lieblings-
thema Emiliens. Auf wie vielen deutschen Ausstellun-
gen hat man schon solche Bilder von ihr gesehen. Das
ist ihr Sonderrnotiv, ihr Monogramm gleichsam. Auch
diese Bäumchen sind eigentlich undankbar, aber was
ist undankbar. wenn man es dankbar anzusehen weiß?
Ein dünner roter Kirschbaurnzweig, dem man schon das
Pteifenrohr ansieht, in das er sich einst verwandeln
wird, ist bei Mediz voll einzelnster Farbe und Form. Ein
Orangenbäumchen voll purpurner Früchte steht bei
Frau Emilie in einer tiefen Pracht und fast heraldischen
Würde da, daß man ein ehrwürdiges Symbol zu sehen
meint.
Das Kleinleben innerhalb der großen Form zu sehen,
darauf sind beider Augen eigens eingestellt. Beide
haben die Passion des Gewimmelmalens. Der Blumen-
teppich zu Füßen der Eismänner ist ein Musterstück in
dieser Richtung. Gewimmel von hellen Bäumen haben
beide schon früh gemalt; sein Birkenwald von 1894, ihr
Silberpappelhainvon1896sindsolche Stücke. Nochlie-
berabersind ihnen wimmelnde Blumendickichte, unab-
sehbares Blumengestrüpp. Er malt in einer Gärtnerei
bei Krems Vergißmeinnichtfelder mit roten Tulpenhai-
nen und Hyazinthenbeständen vermischt. Dann wieder
blaue Blumen, eine Wifdnis von blühendem ßNattern-
kopfu (1893, Motiv bei Tokaj, doch in Krems gemalt),
worin ein geigendes Mädchen in dunkelrotem, blau
getupftem Kleide wandelt. Sie malt jene gelbe Ginster-
landschaft (1 B90), wo aber der rechte Mut zum Gewim-
mel noch nicht vorhanden ist. Der kommt erst später,
wenn ganze Horizonte sich mit den flaumigen Kugeln
des Löwenzahns füllen oder jener Lärchenbaum aus
einem verworrenen Gewusel und Gewurl (gute österrei-
chischeWörter)vonAlpenrosenaufsteigt.Vielesolcher
Bilder in allen Farben haben beide gemalt, Wie es denn
überhaupt merkwürdig ist, zwei Menschen in ihrer
Kunst so ganz und gar verheiratet zu sehen. Sie haben
sich gegenseitig gemacht und machen sich noch. Die
beiden sind zusammen ein Künstler. Auch hat Karl
Mediz seiner Frau ein eigentümliches Denkmal errich-
tet. Eines seiner letzten großen Bilder: wDer heilige
Brunnen-i stellt die gotische Brunnenkapelle im Stift
Heiligenkreuz vor. Dort steht ein halbtausendjahriger
Brunnen, mit mehreren schweren, runden Becken über-
einander, in Bleiguß, schon ganz verzogen und verbo-
gen vom eigenen Gewicht und über und über polychro-
miert mit alten und uralten Patinafarben. Der Brunnen
ist ein Oxydierungswunder, wiefüreinen solchen Maler
geschaffen. Und aufden steinernen Stufen dieses Brun-
nens sitzt vorn, Iebensgroß, eine Frau. Das ernste
Antlitz. von gesunder Farbe, ist von zwei dichten,
schwarzen Scheiteln eingerahmt, die Hände ruhen
gefaltet im Schoß. Sie tragt ein gutbürgerliches, grünli-
ches Lüsterkleid und darüber eine dunkelblaue Stola
mit dunkleren Tupfen. Eine ehrsame deutsche Bürgers-
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