Gestalt bedrohten Platz in Perchtoldsdorf festhält, hat geradezu dokumentarischen Wert.
Ein gegenständliches Interesse, wie es durch die Motive und durch den Vortrag Laskes
geweckt wird, beansprucht Hugo Böttinger (Prag) nicht sosehr als er sich an die passive
Genußfähigkeit derer wendet, die sich gern von leckeren Farbenharmonien umschmeicheln
lassen; blanke jugendliche Körper in ihrem matten Glanz, ein bläßlich frisches Grün und
zwischendrein behutsam angebrachte Farbenakzente - Zorn, an den man denken
könnte, hat mehr Schmiß und Fülle, Aman-Jean einen mehr sonoren Reichtum - er-
zeugen eine schwebende Traumstimmung. Ist Böttinger ein Maler im wahren Sinne dieses
Begriffs, so ist Franz Barwig ebenso ein Plastiker reinster Prägung; seine mit außer-
ordentlicher Feinfühligkeit in Bronze gebildeten Tierstücke zeigen ihn mit diesem edlen
Material ebenso vertraut wie mit dem Holz, aus dem er seine Typen deutschmährischer
Bauern geschnitzt hat, realistisch, mit einem AnBug von Humor. Die Plastik ist außerdem
nur noch durch ein niedliches Majolikafigürchen und einen archaisierenden „Kopf der
Eva" des Tschechen Jan Stursa vertreten. Zur graphischen Abteilung mögen die Kartons
zu Glasfenstern und zu einem Mosaik überleiten, die Kasimir von Sichulski (Lemberg)
mit Verwendung nationaler Tracht für die religiösen und allegorischen Gestalten in
Mehofferscher Üppigkeit entworfen hat. Graphik endlich gibt es in allen Spielarten, von
den tastenden Linoleumschnitten Walter Dittrichs bis zu den Monotypien des auch als
Maler bewährten Radierers Ferdinand Michl und den preziös gezeichneten Porträtstudien
von Gino Parin (München). Das Goethe-Haus in Weimar hat Rudolf junk als farbigen Holz-
schnitt ohne inszenierende Verklärung klar und schlicht veranschaulicht, von einem wohl
angebrachten ovalen Spruchband und omamentaler Füllung umrahmt. Mitglieder des
Prager „Manes" fehlen nie im Hagenbund. Ein Neuling, Jaromir Stretti-Zamponi, meldet
sich mit noch unsichern Radierungen und hat neben der farbigen Lithographie „Notturno"
seines Namensvetters Viktor Stretti einen schweren Stand und gar angesichts des wie
immer Vortrefflichen, das Franz Üimon in einer Folge von radierten Prager Architektur-
bildem bietet.
KLEINE NACHRICHTEN S0-
ERLIN. ZEICHNENDE KÜNSTE DER SEZESSION. In der Gra-
phischen Ausstellung der Berliner Sezession hat diesmal die historische Abteilung
ungewöhnlich Erlesenes zu bieten. Rare Blätter künstlerischer Sondernaturen finden sich
in überraschender Fülle auf einem Fleck zusammen und man wandelt zwischen ihnen wie
in einer Cour des miracles.
Selten konnte man so viele Blätter von Meryon beieinander sehen. Meryons Phan-
tasie Hiegt wie eine Eule um die Giebel und Türme des alten Paris und die spukhafte
Beute gestaltet sich ihm zu helldunklen Nachtstücken. Eine Mischung von Balzac, dem
auch jedes verwitterte Mauerwerk Lutetias redend ward, mit E. Th. A. Hoffmann, und
ausgedrückt durch Rembrandtsche Schwarzkunst. Die Brücken Pont neuf, Pont au change
radiert er; die Bogen über die Seine, die zwei Welten verbinden; schweigende I-Iäuser mit
Gitterfenstem, die ein Unheimliches zu bergen scheinen. Doch seine ganze Liebe ist
Nötre-Dame, das gotische Mysterium auf der Seine-Insel mit seinen paradiesischen Fenster-
rosen und den höllischen Alpdruckdämonen der Wasserspeier und Chimären. Die Chimären
kränzen das Dachgesims der Kirche: aus Stein gehauene Walpurgisnachtsgesichte, Un-
holde aus Antonius-Versuchungen, Kreuzungen aus Mensch und Bestie mit Bocksfüßen
und Elefantenrüssel, Grotesken mit Gierrachen, die in Predigerhaltung an der Brüstung wie
auf einer Kanzel stehen und eine Satansmesse zu zelebrieren scheinen.
Unter diesen ungeheuerlichen Gebilden frühmittelalterlicher Steinmetzkunst hoch
oben zu streifen und dann tief drunten das moderne Paris zwerghaft wimmeln zu sehen,
gibt eine der stärksten Sensationen.