Huysmans hat mit diesen Dämonen Zwiesprach gepfiogen und Strindberg ließ sie
Schicksalsworte reden über die Stadt, auf die sie seit ]ahrhunderten hinunterschauen.
Meryon aber hat die ganze infernalische Zunft als Radierer gebannt und hier sieht man
den Vampyr, hockend, die Ellbogen aufgestiitzt, mit Gehörn und Fledermausflügeln und
einem bläkenden Lastermund.
Balzac verwandt ist auch Honore Daumier, der die Comedie humaine seiner Zeit mit
visionärer Gewalt beschwor. Er witterte das Gespenstische im Alltäglichen, er erkannte die
Fratze und die Blocksberggrimasse unter den glatten Mienen. Und seine Karikaturen sind
Entlarvungen, vollzogen von einem Teufelsbeschwörer. Man sieht hier solche Köpfe, die
Richter, den Auktionator, einen mimischen Hexensabbat.
Älter als diese und stärker noch ist Goya, der Spanier. Von ihm werden aus der
Privatsammlung Aufsesser 39 Zeichnungen dargeboten, die noch nie der Öffentlichkeit zu-
gänglich waren. .
Gerade in den Zeichnungen ließ Goya seine Einbildungskraft am wildesten los. Im
Erdgeschoß des Pradomuseums versenkte ich mich stundenlang in diese Zwischenwelt.
Fieberträume regten sich mit gierigen Fangarmen; ein Menschenpolyp mit klaffendem
Rachen, wie ein Entsetzensschrei aus tausend Mündern; Meerkatzen, Gitanos und Gaukler
in fleckigen Tönen wie verwaschene Wetterspuren auf rissigen Mauern; Zwitterforrnen aus
Fledermäusen und Lemuren; Kupplerinnen im Gassendunkel; Messe noire-Szenen.
Und henkerhaft und grausig, wie mit dem Geierblick empfangen, ist auch die Berliner
Kollektion. Nouveaux Caprices heißt die Serie mit Selbstmördern, Guillodnesituationen 7
der Kopf zwischen den Balken eingeklemmt -, dann Monstrositäten von Zwergen, Riesen;
Narren und Trottel als ein Klumpen Unglück hingesetzt. Und alles mit einer solchen
Wucht des Striches aufgerufen, daß sich diese Nachtstücke mit ungeheurer Gegenwart
aufdrängen.
Doch auch noch andere Temperamente begegnen in der retrospektiven Abteilung.
Raffiniert und prickelnd lockt Konstantin Guys, der die Sitten und die Mode des zweiten
Kaiserreichs in faszinierenden Duftfarben aufgeschrieben: die dünnrädrigen, wiegenden
Phaethons im Bois mit den Damen in Volantreifrock und den Knickerschirmchen der
Eugeniezeit; Liebesmärkte vor der Maison close mit dem witzigen Gegensatz der Krinolinen
der „pensionnaires" zu den „Kilts", den kurzen Röckchen der Banierenden riesigen schotti-
schen Soldaten; Promenadenszenen mit hohen, schmalen Zylindern, geschnürten Taillen-
röcken der Dandys und den Bindebänder-Kapotten, Fransenschals und Tonnenmutfs der
Mondänen.
Daneben dann die stille Größe und feierliche Ruhe der Blätter von Legros, der
in Porträten, Naturszenen, Totentanzlegenden immer etwas Biblisch-Erhabenes-Ent-
rücktes hat.
Von den jüngeren Künstlern geht Alfred Kubin spukhafte Wege. In seinem fesselnden
Bekenntnisbuch „Die andere Seite" hatte er in das dunkle Reich der Träume geführt und
jetzt begleitete er eine dem sehr verwandte Schrift des Gerard Nerval „Aurelie" von der
grenzenlosen Macht des Traumvermögens mit erlebnisvollen, zeichnerischen Randein-
fällen. (Erschienen in München bei Georg Müller.) Ausgestellt hat Kubin seine visionären
Blätter zuden Erzählungen E. A. Poes, ferner sehr merkwürdige Genesisphantasien, barocke
Umschreibungen fossiler Landschaften, Urwaldgründe und Urtierphantasien. Bewegungs-
motive liebt er, die den Menschen aus den Fugen bringen. Eine Panik zeichnet er vor dem
wilden, losgelassenen Stier, vor dem die Menschen zerstieben wie Blätter vom Wind zer-
wirbelt. Und der „Absturz" bannt jene Vorstellung der Fieberdelirien von dem rapiden,
das Sein zersprengenden Hinuntersausen in unendlichen Abgrund.
An Daumier erinnert Amandus Faure mit dem Nachtstück der Neapeler Gasse und
ihrem, man möchte sagen, grellen Dunkel.
Gut und vollgültig sind in dieser Sezessionsausstellung die Stützen der Gesellschaft
vertreten.