DIE BESUCHS- UND GELEGENHEITSKARTEN
DER SAMMLUNG FIGDOR IN WIEN Sie VON
so „Augenblicklich aufzuwarten
Schicken Freunde solche Karten . .
Goethe an Madarne Carlyle auf
einer zierlichen Visitkarte.
NTER den zahlreichen Schätzen der Sammlung
Figdor befindet sich auch eine reiche Kollektion von
Besuchs- und Gelegenheitskarten. Sie stammen
fast alle aus dem letzten Drittel des XVIII. und
dem ersten des XIX. Jahrhunderts und stellen
interessante Dokumente zur Kulturgeschichte
dieses Zeitraumes dar. Ihre nähere Betrachtung
gibt nicht nur einen lückenlosen Überblick über
die Entwicklung einer Gattung der Kleinkunst,
die heute verschwunden ist; sie läßt uns einen
Blick in den Geschmack des Publikums tun; sie zeigt uns, in welchem Kreise
sich dessen Interesse und dessen Kunstbedürfnis bewegt hat. Überdies
zieht eine bunte Reihe von Menschen an uns vorüber, einige, deren Namen
uns durch ihre Stellung und ihr Wirken in Erinnerung sind, die meisten
aber längst verschollen und nur durch diese unscheinbaren Blättchen der
Nachwelt überliefert, die wir so mit verfallenen Grabsteinen auf alten
Kirchhöfen vergleichen können. Eine kleine Spur ihres Daseins tritt hier
hervor, ein Augenblick ihres Lebens wiederholt sich: wir sehen sie an
die Türen ihrer Freunde und Bekannten klopfen und diese Karten ab-
geben; wir sehen sie an den Neujahrstagen, an Namens- und Geburtsfesten
Wünsche aussenden und empfangen. Wie es auf einem Papyrus der Samm-
lung Erzherzogs Rainer heißt: „Wir folgen den Tritten nach der Geschlechter,
die vorausgegangen, dem Trosse von Männern und Frauen, die alle der Tod
umfangen. " g w: a a
" Die erste Besuchskartenausstellung, die 1907 im Stuttgarter königlichen Landesgewerbemuseum statt-
fand, stützte sich hauptsächlich auf die Figdorsche Sammlung und gab die Anregung zu einer Studie G. E.
Pazaureks über künstlerische Besuchskarten (Archiv für Buchgewerbe 1907, S. 445 u. Hi). die auch Abbildungen ein-
zelner charakteristischer Stücke brachte. Speziell ein Teil der Wunschkarten der Sammlung bildet die Grundlage
einer zweiten Publikation Pazaureks, der „Bieder-
rneier-Wünsche" (50 Kleinfoliotafeln in Licht- und
Farbendruck nebst illustriertem Text. Stuttgart,
Julius I-Iofmanns Verlag). Die sonstige Literatur
über künstlerische Besuchskarten hat Pazaurek
in seiner ersten Studie (a. a. 0. S. 447) zusammen-
getragen, die über Neujahrskarten in den „Mit-
teilungen des Nordböhrnischen Gewerbemuseums
in Rcichenherg" (wo 1904 die erste Ausstellung
solcher Karten veranstaltet wurde), XXIII, Nr. x.
Seitdem ist noch ein illustrierter Aufsatz von J. de
Pellieux und H. de Fels im „Gaulois illustre" vorn
l . Jänner r gr o hinzugekommen, der hauptsächlich auf
dem Material der Pariser Nationalbibliothek beruht.
Die von Pazaurek zitierten zwei Artikel von Ettore Abb. x