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Noch heute ist in Bosnien der Glaube verbreitet, daß man in früheren Zeiten als
Bauopfer bei größeren Bauten Menschen lebend einzumauern pflegte, und von mancher
Burg berichtet das Volkslied, daß der Neimar (Baumeister), um den Erdgeist zu versöhnen,
der seinem Baue abhold war, die eigene Frau opferte. In jüngster Zeit wurden einige
Bauopfer aus alten Bauten zum Vorschein gebracht, die erwähnenswerth sind; so bestand
in der 1894 dcmolirtcn Burg Sokolovici (Bezirk Rogatiea) das Bauopfer aus einem
sammt dem Käfig eingemanerten Hahn, der am Halse einen Goldring trug. In den Grund
mauern der berühmten Drina-Brücke vonVisegrad wurde eine große Urne mit den Resten
des aus Fleisch und Früchten bestehenden Bauopfers entdeckt. Ein ähnliches Gefäß fand
sich auch in den Fundamenten einer Moschee in Cajnica.
Der Glaube an die Wirksamkeit menschlicher Bauopfer lebt übrigens noch heute.
Man baut wohl nicht mehr den Menschen, sondern dessen Schatten ein, was auf folgende
Art geschieht. Der Baumeister beeilt sich, wenn zufällig der Schatten eines menschlichen
Wesens auf die im Entstehen begriffenen Grundmauern fällt, darüber rasch Mörtel und
Steine zu legen. Glückt ihm dies, so wird das Haus glücklich, der Eigenthümer des ver
mauerten Schattens aber wird siech und muß binnen Jahr und Tag sterben und verderben.
Auch das Höhenmaß eines Menschen, welches mit einem Faden abgenommen und dann
vermauert wird, soll dieselbe Wirkung haben. Sollte der Schatten des Bauherrn verbaut
werden, so bringt dies ihm und dem ganzen Hause Unglück, und dies ist der Grund,
weshalb sich der Bauherr scheut, während des Legens der Fundamente ans dem Bau
platze zu erscheinen.
Auch das Gleichenfest wird durch ein Opfer begangen. Das Blut des Opferthieres
wird über die rechte obere Mauerkante gegossen und damit die Mauer beträufelt. Diese
Blutstecken müssen unberührt bleiben, bis Sturm und Regen sie anslöschen.
Ein weiteres Bauopfer von mehr praktischem Interesse ist das Firstopfer. Sowie der
Firstbalken richtig angebracht ist, behängt ihn der Bauherr mit bunten Tüchern und
Stoffen, mitunter auch mit Weinflaschen. Tie Zimmerleute beeilen sich nun, das Dach
möglichst rasch zu decken, damit ja kein Regen komme und die schönen Sachen verderbe,
denn wie der letzte Nagel im Dache eingenagelt wird, dürfen sie sich die Spende aneignen.
Der Wichtigkeit des Unternehmens entsprechend, wirkt beim Baue des Hauses noch
mancherlei Aberglaube mit. So darf man mit dem Ausheben der Fundamente nur an einem
Montag oder Donnerstag beginnen. Sollte auf einen dieser Tage das Fest der Enthauptung
Johannis fallen, so ist der betreffende Tag für das ganzeJahr zu diesem Vorhaben ungeeignet.
Auch in der Zwischenzeit zwischen beiden Frauentagen soll es nicht rathsam sein, Fundamente
auszuheben. Die Zimmerleute bekommen von den Frauen heimlich Geschenke, damit sie ja
genau achtgeben, daß ihnen der Bohrer nicht entfalle und irgendwo mit der Spitze stecken