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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIV (1979 / Heft 166 und 167)

iönä- Das also, was Vasari an Michelangelos Ge- 
iuch der kompositen Ordnung besonders hervor- 
ot, ist die Möglichkeit. Architekturformen zu er- 
den. Gerade diese Erfindungskraft ist es, auf die 
ihm dabei ankommt: Michelangelos Komposit- 
lnung erscheint als eigener architektonischer 
I. Ganz ähnlich hat das auch ein anderer großer 
tgenosse Michelangelos, Benvenuto Cellini, ge- 
ien und beschrieben, aber er gibt zugleich eine 
'ere Begründung für diese Möglichkeit. eine ei- 
tständige Architekturordnung hervorzubringen: 
enn diese". so sagt Cellini, "sei so schon, so an- 
iehm und vorteilhaft. und zwar, weil Michelan- 
o deshalb der größte Architekt war, den es ie ge- 
zen hat, weil erauch dergrößte Bildhauerund der 
tßte Maler warlß- 
:hitektur als bildende Kunst - damit ist, glaube 
, die Richtung angezeigt, in der man die Lösung 
a vorhin aufgeworfenen Problems suchen muß, 
: Problems, wie eine Vielheit unterschiedlicher 
l uneinheitlicherMotive und eine Anzahl von Stil- 
iten unterschiedlicher historischer Herkunft sich 
einem Innenraum zusammenfügen können. 
wichtigste Möglichkeit zur Bewältigung dieser 
grabmälern, die nun von vornherein der übergrei- 
fenden Rahmenform von Brunellescos Wandgliede- 
rung eingepaßt werden konnten. 
Ich überspringe alle Planungsphasen für diese 
Wandgräber und setze erst wieder bei dem späte- 
sten Entwurf, dersich erhalten hat, ein (Abb. 7). Alle 
zur Ausführung gekommenen Elemente sind in ihm 
enthalten: Über einem Sockelbau, vor dem der Sar- 
kophag aufgestellt ist, erhebt sich das dreiachsige 
Wandfeld mit hohem Attikageschoß. Derannähernd 
quadratische, mit Doppelpilastern besetzte Mittel- 
teil wird von schmalen Feldern flankiert, in welche 
segmentgiebelbekrönte Nischen eingelassen sind, 
Die Dominanz des breiten mittleren Wandteiles ist 
ganz offensichtlich. Dieser Mittelteil aber ist nichts 
anderes als eine der Fassaden, die schon in dem 
Entwurf für das Freigrabmal erscheint. Die Idee des 
freistehenden Würfels wurde fallengelassen, der 
Gedanke seiner pilastergerahmten Fassadenflä- 
chen blieb erhalten und ist auf die Grabmalswand 
projiziert worden. In dem Entwurf bewahrt dieser 
Mittelteil völlige Selbständigkeit, während die seitli- 
chen, nischenbesetzten Teile als zweitrangig und 
von untergeordneter Bedeutung erscheinen. Das 
sollte sich nun in den ausgeführten Grabmalswan- 
den ändern (Abb. 3). Was ist hier geschehen? Das 
Mittelgeschoß ist höher und die Attika infolgedes- 
sen niedriger geworden. Die wichtigste Verände- 
rung aber ist, daß die drei Wandabschnitte nun an- 
nähernd gleich breit sind. DerMittelteil beansprucht 
nun keinen Vorrang mehrvorden Seitentraveen; die 
mittlere Nische und die Doppelpilaster müssen nun 
nicht mehr zwingend als eine zusammengehörige 
architektonische Gruppierung gesehen werden, wie 
dies auf dem Entwurf noch der Fall war. Und doch. 
man spürt sofort, daß diese Art, die Verhältnisse zu 
sehen, nur zum Teil richtig ist, Prüft man einmal das 
Relief derGrabmalswand genauer, so zeigt sich, daß 
der besagte Mittelteil trotz seiner schmaleren Ab- 
messung völlig intakt geblieben und als eine selb- 
ständige Ädikulaarchitektur in die Fassade einge- 
setzt ist. Neben seinen äußeren Pilastern laufen sehr 
schmale, leicht vorspringende Streifen in die Höhe, 
setzen sich in den Verkröpfungen und in den Atti- 
kaaufbauten fort und lösen so, allen durchgehenden 
Horizontalen zum Trotz, diesen Mittelteil als eigen- 
ständige Archltektureinheit heraus: Der Gedanke 
des Freigrabmals ist in seiner von Michelangelo be- 
 
gabe bestand für Michelangelo in dem absoluten 
ang der Fläche vor dem Volumen. Seine archi- 
onische Vorstellung bewegt sich hier nicht pri- 
in Körpern, sondern in Flächeneinheiten, Wie 
einem Bilde können auch in der Architektur sol- 
Gegenständegleichzeitig und nebeneinanderin 
r Ebene erscheinen, deren Flächenwert für ihre 
rnante Gestalt wichtiger ist als ihr Körperwert. 
:lie Mittel derArchitekturangewendet, heißt das: 
Bevorzugung der Fassade vor dem Architektur- 
ier, der Vorrang des flächigen Baugliedes vor 
raumgreifenden - z.B. des Pilasters vor der 
le oder der flach geschlossenen Nische vor der 
lgeschlossenen usw.; schließlich die Betonung 
Flächen durch Flahmenformen und Ornament. 
eits in den ersten Entwurfsskizzen wird dieses 
henhafte vorrangig. Bekanntlich wollte Michel- 
zlo am Anfang der Planung ein Freigrabmal in 
Vlitte des Raumes stellen, d.h, einen aus vier 
zhen Fassaden gebildeten Würfel mit je einem 
ophag (Abb. 6). Alle Zeichnungen, die sich mit 
am Gedanken beschäftigen, zeigen immer nur 
tnsicht einer solchen Fassade und niemals das 
iliche Gebilde. Wie die Wirkung dieses Grab- 
ilockes aus einer Ansicht übereck gewesen 
e, scheint Michelangelo nicht interessiert zu ha- 
at nur folgerichtig, daß der Gedanke des Frei- 
mals aufgegeben wurde zugunsten von Wand- 
5 Michelangelo, Capella Medicea, Maskenfries. Florenz, 
Kirche von San Lorenzo 
Anmerkungen 2, 3 
2 Glorgio Vasari, Lo vite de" pin eccelerttl pinon. scultorl e arcniteno- 
ri, Firenze nass. lntroduzione Cip, l, Dell' Archltettura. 
' zlllüfl nach: La vira di Bsnvenulo Celllni. segutta der Trattati dell' 
Orlficeriaedella Sculturae daglt SCVIHI sul" Arte. ed A J Rusconl, A 
Valari, Roms 19m. s 797. 
vorzugten Fassadenansicht im Wandgrab präsent 
geblieben. Gegen diese, nun allein aus der Struktur 
des Wandreliefs gewonnene Auffassung meldet 
sich sogleich erneut derwiderspruch der ersten Les- 
art, denn es läßt sich nicht leugnen, daß die Wand 
gleichzeitig als aus drei gleichberechtigten Traveen 
gebildet erscheint; und man wird sich fragen. 
warum denn Michelangelo nicht die Proportionen 
des letzten Entwurfes beibehalten habe, wenn es 
ihm auf die Betonung eines selbständigen Mitteltei- 
les ankam. Weshalb ergibt das tastbare Wandrelief 
ein ganz anders strukturiertes Architekturgebilde 
als das Projektionsbild dieses Fassadenreliefs in der 
Ebene? Die Antwort kann nur lauten, daß beide Auf- 
fassungsweisen der Grabmalswand richtig sind, 
und da dies so ist, kann sich weder der Gedanke der 
selbständigen Freigrabmalsfassade noch der Ge- 
danke der drei gleichgewichtigen Traveen voll 
durchsetzen und alleinige Geltung beanspruchen. 
Die eine Form ist in der Anschauung unabtrennbar 
von der anderen. Zwei ganz verschiedene Konzepte 
dieser Wand überschneiden sich sozusagen, sie 
durchdringen sich, ohne eine Synthese zu bilden, 
d.h. ohne ein drittes, völlig neues Gebilde aus sich 
entstehen zu lassen. Gleichwohl sind diese zwei Ar- 
chitekturgebilde in einer einzigen Wand verwirk- 
licht. 
Ich meine, wir haben hier das deutlichste Beispiel 
für die Beschaffenheit von Michelangelos komposi- 
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