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die bläulich glasig starrende Atmosphäre voll Schauer-Frosthauchs. Aus dem Ausland
erscheinen Joseph Israels, der Uralte, mit einem Selbstbildnis von rührender Gewalt;
der old man, das eingefallene Gesicht tief unter der heruntergeklappten Hutkrempe ge-
borgen, die Gestalt eingewickelt, vermummelt, im Schatten verdämmernd; Theo von
Rysselberghe, der Belgier, mit Porträten im Interieur, die in einem illusionistischen Opal-
und Irisschimmer perlmuttem erglitzem. Wie Farbenstaub von Schmetterlingen, rosa
und grünlich mit metallischen Reflexen changiert es, ein Paillettenstil; und Hodlers
strenges Meistertum in dem nackten Jüngling, der in Waldeinsamkeit die Hände als ein
Adorant naturfromm erhebt, ferner in der heiligen Stunde, mit dem Kranz der blumen-
haften Frauen - man fühlt Toscana - und der Toten, die lang und länger gestreckt,
schmal und dunkel auf dem Lager gebettet ruht, ihr „eigen Bildnis oder Grabesrnal".
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Reich besetzt ist, wie schon anfangs gesagt, die Juniorenklasse. Die Sezession ver-
mittelt hier für das Publikum, vor allem aber für die Künstler die Bekanntschaft mit einer
Gruppe junger französischer Maler, der Expressionisten.
Der Name deutet die Absicht. Verwandt den Bestrebungen der Neuen Sezession,
wollen sie vom Impressionismus fort zu einer vereinfachenden Ausdruckssprache. Sie
erstreben nicht die Illusion der Naturwiedergabe, die Natur wird ihnen nicht Zweck, nur
Mittel farbiger Betätigung. Die Transsubstantiation der Dinge lockt als Ziel. Motive
werden nicht analysierend wiedergegeben, sie werden nur zum Ausgangspunkt, und die
Bilder sind nicht reale Abbilder, sondern Phantasien über reale Stoffe, durchaus und ohne
Nebenabsicht aus rein malerischer Sphäre empfunden, und so recht eigentlich farbiger
Abglanz des 'Lebens. Cezanne mul] als Ahnherr dieser synthetischen Kunst angerufen
werden. Und entschieden spürbar in der Neigunglzum Primitiven und zum Ethnographisch-
Exctischen ist der Einiluß Gauguins.
Man lernt hier eine Fülle neuer Namen kennen und merken; Pablo Picasso mit seinen
mattonigen Malayentypen, Henri Manguin mit seinen dekorativen Stoffen und ihren
Reflexen auf MenschenHeisch, George Braque mit seinerTerrasse, die wie ein orientalischer
Aida-Traum wirkt; Derain, der Landschaften und Städtebilder ornamental vereinfacht auf
eine Grundform gebracht, wie von einem alten Kupferstecher; Dongens Frauencapriccios,
gleich wischigen Wandmalereien und exotischen Masken; Othon Friesz mit seinem
Paradiesgarten, ganz aus dem Klima Gauguinscher Südsee-Reverien.
Nahe steht dem Kurt Tuchs „Pfingstfreudw mit ihren trecentistischen Leibern,
ihren Gobelintönen. Kurt Tuch ist bereits Mitglied der Sezession.
Daneben sehen wir aber auch eine Anzahl jüngster deutscher Gäste: Oswald Galles
Akte im Freien aus der strengen Marees-Schule; Gerbigs Schafherde mit gelbgrauen
Vließen und schwarzen Köpfen, weich dahin wimmelnd, in einer strichelnden Technik
lebendig gemalt; Haslers Pantherjagd (mit dem das Pferd anspringenden Panther an
den Fries des Alexandersarkophages in Stambul erinnemd) voll koloristischen Tempe-
raments des fleckigen Fells, der Schimmel, der Rappen, des Negers und voll stürmender
Gewalt; Michelsons Leda, nicht sitzend, sondern stehend, vom mächtigen Schwan über-
wältigt, Treumanns „Bildnis eines Unglücklichen", Elsbeth von Pauls Porträt der drei
kleinen blauäugigen Flachsköpfe mit dem pikant japanisch erfaßten Motiv der schwarz-
weiß karrierten Hängekleidchen.
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Ein Paar Schlußworte über die Skulpturen, die, durch die Säle verstreut, das Aus-
stellungsbild beleben.
Man begegnet wieder den materialhaften, ausdrucksstarken Holzskulpturen Ernst
Barlachs, die ihren Ursprung aus der Volkskunst kräftig bekennen. Man sieht eine gewaltige