werden kann. Die gleiche psychische Auf-
telit sich den mittelalterlichen Kirchenbe-
n von Farge, denen die Kenntnis der religiö-
mbolwerte zwar zur Verfügung stand, die
dem in die Lage versetzt wurden, aus dem
Persönlichkeit zur Verfügung stehenden ir-
len Material eine eigene Deutung zu er-
in. Weitere Beispiele für den Verzicht auf
s und für die Hervorbringung der autono-
Jrm aus dem Unterbewußtsein finden wir
iVergleich des Bildes "Massaker In Koreau
von Pablo Picasso mit einer Miniatur aus
salter des Robert de Lindseye (1214 bis
3. Jahrhundert). Daß das gleiche Phäno-
ch mit der Hilfe einer von diesem Beispiel
imen verschiedenen malerischen Sprache
sdruck kommen kann, wird durch die Ana-
wischen der wMetamorphose des Flei-
(1949) von Ernst Fuchs und eines Details
irtens der Lüste-i (Anfang 16. Jahrhundert)
ronymus Bosch erwiesen. In unserem ima-
Museum darf aber auch die Verbindung
in den Kulturgegenständen des Schama-
und den Objekten unserer Zeit nicht feh-
Vergleich zwischen der Ausrüstung einer
lektiven Unterbewußtselns. Der extreme Materia-
lismus wird in Frage gestellt durch die Erkenntnis,
daß die Variationsmöglichkeiten des Seins ins Un-
endliche und gewiß ins Unberechenbare reichen,
daß durch die Gleichung Materie : Energie die
Möglichkeit eines Modells im Sinne einer materia-
iistischen Mechanik ausgeschlossen werden
muß, daß sich also keine feste Grenze ziehen laßt
zwischen einem physikalisch kontrollierbaren Vor-
gang und seiner Fortsetzung im psychischen Be-
reich. Etwas literarischer ausgedrückt: ein explo-
dierender Stern kann sich jederzeit in eine Seele
und eine expandierende Seele jederzeit in einen
Stern verwandeln. Der Mensch tritt aus seiner iso-
lation heraus, gewahrt seine Verbindung zu den
langst Verstorbenen und zu den Menschen archa-
ischer oder utopischer Existenzformen. Das ist
der Punkt, an dem sich - In der Kunst der Moder-
ne augenfällig - Erinnerungen und Ahnungen
verschmelzen. Durch die Beseitigung einer linea-
ren Zeitvorstellung verschwindet der Unterschied
zwischen dem psychischen Repertoire des kollek-
tiven Unterbewußtseins und dem Material der Uto-
pie. Das Kollektiv braucht als Kommunikations-
mittel allgemeinverständliche, das heißt, dem kol-
lektiven Unterbewußtsein entsprechende Zeichen
und Symbole. Es braucht aber auch das ununter-
brochene Streben nach einer Bereicherung, Ver-
feinerung und zugleich Vereinfachung ihrer Sym-
bolsprache. Auf diese Weise legitimiert sich das
Experiment als sozial notwendiger Vorgang. Die
Unendlichkeit der Variationsmögiichkeiten des
Seins sprengt die herkömmliche Ästhetik. Durch
die Überwindung der materialistischen Mechanik
werden die Gesetze der Komposition überflüssig
- sofern sie nicht Chiffren der psychischen Un-
endlichkeit sind, vorübergehende Aggregatzu-
stände der Mobilität. Eine neue Qualität der Frei-
heit wird erkennbar. Wenn es zwischen einem phy-
sisch untersuchbaren Vorgang und seiner Fortset-
zung im psychischen Bereich keine Grenze gibt,
kann das erkennbare künstlerische Schaffen in
Kontemplation übergehen, denn auch die bloß ge-
dachte Kunst ist nur eine Phase schöpferischen
Prozesses. In diesem Sinn ist auch das Nichts-
Tun: Tun. Eine Auflösung der herkömmlichen Kri-
terien für Qualität ist notwendigerweise die Folge.
Damit nähert sich die Moderne jenem Gottesbe-
griff, der dem Mittelalter (und der sogenannten Ur-
zeit) bekannt war. Die Unendlichkeit in der Zeit
hamani und einem Wandtextilwerk von
E. Päszthy vermag das anschaulich zu ma-
u erwähnen sind in diesem Zusammen-
ich die Versuche jener jüngeren österrei-
n Maler wie Wolfgang Denk und Norbert
nann, die sich an der Kunst der Urzeit
'en. ihre Arbeit steht in Verbindung mit ei-
mehreren Ländern zu beobachtenden
zhtung, von Harald Szeemann auf der do-
15 in Kassel (1972) als Streben nach windi-
' Mythologie-t bezeichnet.
lerne scheint sich - nicht als Rückbesin-
er als Rückfall, sondern als Zeichen künf-
twickiungen - mit der Kunst des Mittei-
nd durch diese mit dem kultischen Ritus
rr-Antike zu berühren, die von der Allge-
t Urzeit enannt wird. überwunden wird
i des extremen, auf die Verschiedenheit
vidueilen Denkvorgänge konzentrierten in-
ismus, das Weltbild des extremen, auf ein
ares, begrenzbares und mechanisches
gerichteten Materialismus, die Überzeu-
aß die Menschen und ihre gesellschaftli-
"steme geschlossene, zeitlich und räum-
ierbare Ordnungen darstellen. Der extre-
ridualismus wird ersetzt durch das ideal-
einzelnen im Verband des Kollektivs. Die
eilen Denkvorgänge verlieren an Bedeu-
gesichts der bewegenden Kräfte des kol-
11 James Ensor, Uenlree du Christ a Bruxelles, 1888
12 Weihwasserbecken, Fargee, 11.-12. Jahrhundert?
13 Pablo Picasso, Massaker In Korea, 1951
14 Miniatur aus dem Psaiter des Robert de Lindseye,
1214 - 1222
15 Ernst Fuchs, Metamorphose des Fleisches, 1949
16 Hieronymus Bosch, Garten der Lüste (Detail), Anfang
1G. Jahrhundert
17 Tofa-Schamanln In voller Ausrüstung von hinten
1B Magda E. Päszthy, Komposition, 1977
und im Raum wird als höchste Möglichkeit des
Seins nicht nur demütig angebetet oder als ein
Mittelpunkt der Inspiration gebraucht, sondern
als die Vorbedingung jeder künstlerischen Arbeit
erlebt. Spiritualismus wird zur vorherrschenden
Methode der künstlerischen Praxis.
Dieser neue Spiritualismus bildet ein neues, dem
Mittelalter (und der Urzeit) allerdings wohlbekann-
tes Ethos. Der durch die letzten Jahrhunderte ver-
schüttete oder belächelte Begriff des Heils im Sin-
ne einer menschlichen Seibstheilung in allen Di-
mensionen des Mikro- und Makrokosmos wird er-
kennbar. Das Paradoxon der Moderne besteht dar-
in, daß sie ihre Nützlichkeit im Sinne dieses Heils
leugnen muß, um wahrhaft frei und also auch
nützlich zu sein. So entsteht ein neues Schön-
heitsideal. Wenn Theophile Gautier im Vorwort zu
seinem Roman i-Mlie. Mauplnu als programmati-
sche und provokative Parole die Behauptung zu
Papier brachte, daß der Abort der nützlichste und
deshalb haßlichste Ort der Wohnung sei, so wird
von der Moderne der Abort von den Beispielen für
die Wirkungsweise der Notwendigkeit als ästhe-
tisch relevantes Phänomen nicht ausgeschlos-
sen. Das Nützliche ist im Sinne des Heils zugleich
schön, und das Schöne ist durch die ihm innewoh-
nenden Kräfte nützlich. Die Einheit von Schön und
Nützlich, eine Forderung von Sokrates, erscheint
als ethisches und zugleich ästhetisches Ziel.
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