MAK

Volltext: Monatszeitschrift IV (1901 / Heft 11)

Die beiden Seitenpfeiler weisen wechsel- 
ständig mehr als ein Dutzend Grimassen 
schneidende Masken auf, Vollmondsgesichter 
mit lachenden zahnlosen Mäulem, bald höh- 
nisch, bald fröhlich lächelnde oder schmerz- 
lich Verzogene Fratzen voll unheimlicher 
Kraft - Carries modellirte sie, indem er sich 
selbst vorm Spiegel Fratzen schnitt - an 
den Bogenansätzen Sonne und Mond in 
carrikirten Gesichtern; im Bogen selbst 
Fische, Kaninchen, aufgeputzte kauernde 
Affen, ein dahintrottendes Mutterschwein, 
eine Fledermaus in Cartouschenform mit 
einem Gesichte auf dem Bauche, in den 
Zwickeln wunderliche weibliche Gestalten, 
zusammengekauert wie Frösche, ein häss- 
liches Kind mit Eselsmütze, das eine unan- 
ständige Geste macht und als Krönung dieses 
ganzen wilden Traumes ein weit geöffnetes 
Fischmaul mit menschlichen Ohren, aus dem 
mit anmuthiger Haltung ein Mädchen von 
interessanter Hässlichkeit hervorschreitet, 
halb mittelalterlich, halb modern gekleidet, 
mit lang heraufreichenden Handschuhen. 
- Wer vermöchte etwas Groteskeres auszu- 
"'""-A"s'"di' denken, als diese Zusammenstellung der 
wunderlichsten Einfälle? Mag man sie alle- 
gorisch deuten als die Kunst oder als die Tugend, die erhaben über die 
menschliche Tragikomödie dahinwandelt oder mag man sie betrachten als 
den unerschöpflichen Vorwand für allerhand keramische Glasuren und 
Farbeneffecte, sie war der letzte Traum eines Künstlers, der gleich 
Kändler oder Bernhard Palissy an der Keramik und ihren Reizen seine 
glühende Phantasie zu lichterlohem Brand entfachte. 
Überschaut man die etwa vierzig Werke von Carries, welche die 
Dresdener Ausstellung aufweist, so wird man bald zu der Überzeugung 
kommen, dass Carries den Höhepunkt seiner Kunst erst im farbigen Stein- 
zeug erreicht hat. Das Steinzeug ist für ihn das wahrhaft ideale Material 
geworden. Auch seine getönten Gipsabgüsse, wie der Frans Hals und Die 
Nonne, sind vortreffliche und interessante Werke und die Bronzen mit ihrer 
mannigfaltigen reizvollen Patina sind köstlich in ihrer Art, aber sie stehen 
zurück gegen den Zauber, den Carries' Werke in Steingut ausüben. Was 
er an den Werken seiner Collegen vermisste, die Wiedergabe der Haut, die 
weiche Behandlung der Oberfläche, seine Köpfe und Büsten im farbigen 
Steinzeug haben es: man fühlt sich veranlasst, mit den Fingern über die 

	            		
1'.) Formen hinzustreichen, das Korn des Steinzeugs gibt eine weiche schmeichelnde Empfindung, einen Reiz der Empfindung, wie ihn Bronze und Marmor nie auszuüben vermögen. Es ist vergebens, dies und die farbigen Reize beschreiben zu wollen, diese malerisch hingesetzten Farbenflecke, die feinen Übergänge von einem Ton in den andern. Und ebenso vergeblich ist es, das Recept zu einer derartigen Behandlung des Steinguts geben zu wollen. Um solche Wirkungen zu erzielen, dazu gehört die Leichtigkeit und Schnelligkeit der Hand, die Feinheit des Blickes und der farbigen Empfindung, über die eben nur Carries verfügte. Darum hat man auch gegenüber jedem dieser Werke den Eindruck des „bibelot unique", wie es Graf Montesquiou ausdrückt, des persön- lichstenErzeugnisses einer Kunst, die niemals das Gepräge marktgängiger Industrieware annehmen kann. Unsere Abbildungen können von diesem Reiz, der zu einem grossen Theil im Material und in der Farbe besteht, nur einen schwachen Begriff geben. Aber sie geben einen Begriff von der starken Phantasie des Künstlers, in der sich grotesker Humor mit tiefer Innerlichkeit, ja mit einem gewissen visionären Mysticismus verbinden, weminghausen, Sitzende, wie er durch Carries' ererbte Anlage, durch die Sßhlßnsenrödrer, Aßvsludiß Lebensschicksale in seiner frühen Jugend, durch die Erziehung im Waisenhause wohlerklärlich wird. Sie zeigen weiter in der vollen Geschlossenheit das Stilgefühl des Künstlers, welcher die Eigenart der Steinzeugtechnik - das Schwinden im Feuer, die Unmöglichkeit weit ausladende Theile mit zu brennen - vollständig berücksichtigt und ausnützt. Ob der Künstler bei seinem Tode das beglückende Gefühl gehabt hat, dass sein ehrgeiziger Traum, der Velazquez der Plastik zu werden, in Erfüllung gegangen sei? Schwerlich. Der Gedanke an sein unvollendetes Portal, seinen „Kalvarienberg", hat ihn verfolgt bis zuletzt. Aber Carries hat nicht umsonst gelebt. Er hat sich einen hohen Platz in der französischen Kunstgeschichte errungen. Mit hoher Begeisterung schliesst Graf de Montesquiou seinen feinsinnigen Nachruf für Carries in der Gazette des Beaux Arts 1894 mit denWorten: „Ja, trotz deines allzufrühen erschreckenden und plötzlichen Dahinscheidens kannst du ruhig schlummern, Jean Carries . . . die Zukunft ist deiner sicher, wie du ihrer. Ein Platz ist Dir angewiesen in der Unsterblichkeit, wo Zukunft und Gegenwart in einander fliessen. Da wirst du die Hand drücken einem Adam Krafft, einem Peter Vischer
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