Die beiden Seitenpfeiler weisen wechsel-
ständig mehr als ein Dutzend Grimassen
schneidende Masken auf, Vollmondsgesichter
mit lachenden zahnlosen Mäulem, bald höh-
nisch, bald fröhlich lächelnde oder schmerz-
lich Verzogene Fratzen voll unheimlicher
Kraft - Carries modellirte sie, indem er sich
selbst vorm Spiegel Fratzen schnitt - an
den Bogenansätzen Sonne und Mond in
carrikirten Gesichtern; im Bogen selbst
Fische, Kaninchen, aufgeputzte kauernde
Affen, ein dahintrottendes Mutterschwein,
eine Fledermaus in Cartouschenform mit
einem Gesichte auf dem Bauche, in den
Zwickeln wunderliche weibliche Gestalten,
zusammengekauert wie Frösche, ein häss-
liches Kind mit Eselsmütze, das eine unan-
ständige Geste macht und als Krönung dieses
ganzen wilden Traumes ein weit geöffnetes
Fischmaul mit menschlichen Ohren, aus dem
mit anmuthiger Haltung ein Mädchen von
interessanter Hässlichkeit hervorschreitet,
halb mittelalterlich, halb modern gekleidet,
mit lang heraufreichenden Handschuhen.
- Wer vermöchte etwas Groteskeres auszu-
"'""-A"s'"di' denken, als diese Zusammenstellung der
wunderlichsten Einfälle? Mag man sie alle-
gorisch deuten als die Kunst oder als die Tugend, die erhaben über die
menschliche Tragikomödie dahinwandelt oder mag man sie betrachten als
den unerschöpflichen Vorwand für allerhand keramische Glasuren und
Farbeneffecte, sie war der letzte Traum eines Künstlers, der gleich
Kändler oder Bernhard Palissy an der Keramik und ihren Reizen seine
glühende Phantasie zu lichterlohem Brand entfachte.
Überschaut man die etwa vierzig Werke von Carries, welche die
Dresdener Ausstellung aufweist, so wird man bald zu der Überzeugung
kommen, dass Carries den Höhepunkt seiner Kunst erst im farbigen Stein-
zeug erreicht hat. Das Steinzeug ist für ihn das wahrhaft ideale Material
geworden. Auch seine getönten Gipsabgüsse, wie der Frans Hals und Die
Nonne, sind vortreffliche und interessante Werke und die Bronzen mit ihrer
mannigfaltigen reizvollen Patina sind köstlich in ihrer Art, aber sie stehen
zurück gegen den Zauber, den Carries' Werke in Steingut ausüben. Was
er an den Werken seiner Collegen vermisste, die Wiedergabe der Haut, die
weiche Behandlung der Oberfläche, seine Köpfe und Büsten im farbigen
Steinzeug haben es: man fühlt sich veranlasst, mit den Fingern über die
1'.)
Formen hinzustreichen, das Korn des Steinzeugs
gibt eine weiche schmeichelnde Empfindung, einen
Reiz der Empfindung, wie ihn Bronze und Marmor
nie auszuüben vermögen.
Es ist vergebens, dies und die farbigen Reize
beschreiben zu wollen, diese malerisch hingesetzten
Farbenflecke, die feinen Übergänge von einem
Ton in den andern. Und ebenso vergeblich ist es,
das Recept zu einer derartigen Behandlung des
Steinguts geben zu wollen. Um solche Wirkungen
zu erzielen, dazu gehört die Leichtigkeit und
Schnelligkeit der Hand, die Feinheit des Blickes und
der farbigen Empfindung, über die eben nur Carries
verfügte. Darum hat man auch gegenüber jedem
dieser Werke den Eindruck des „bibelot unique",
wie es Graf Montesquiou ausdrückt, des persön-
lichstenErzeugnisses einer Kunst, die niemals das
Gepräge marktgängiger Industrieware annehmen
kann. Unsere Abbildungen können von diesem
Reiz, der zu einem grossen Theil im Material und
in der Farbe besteht, nur einen schwachen Begriff
geben. Aber sie geben einen Begriff von der
starken Phantasie des Künstlers, in der sich
grotesker Humor mit tiefer Innerlichkeit, ja mit
einem gewissen visionären Mysticismus verbinden, weminghausen, Sitzende,
wie er durch Carries' ererbte Anlage, durch die Sßhlßnsenrödrer, Aßvsludiß
Lebensschicksale in seiner frühen Jugend, durch
die Erziehung im Waisenhause wohlerklärlich wird. Sie zeigen weiter
in der vollen Geschlossenheit das Stilgefühl des Künstlers, welcher die
Eigenart der Steinzeugtechnik - das Schwinden im Feuer, die Unmöglichkeit
weit ausladende Theile mit zu brennen - vollständig berücksichtigt und
ausnützt.
Ob der Künstler bei seinem Tode das beglückende Gefühl gehabt hat,
dass sein ehrgeiziger Traum, der Velazquez der Plastik zu werden, in
Erfüllung gegangen sei? Schwerlich. Der Gedanke an sein unvollendetes
Portal, seinen „Kalvarienberg", hat ihn verfolgt bis zuletzt. Aber Carries
hat nicht umsonst gelebt. Er hat sich einen hohen Platz in der französischen
Kunstgeschichte errungen. Mit hoher Begeisterung schliesst Graf de
Montesquiou seinen feinsinnigen Nachruf für Carries in der Gazette des
Beaux Arts 1894 mit denWorten: „Ja, trotz deines allzufrühen erschreckenden
und plötzlichen Dahinscheidens kannst du ruhig schlummern, Jean Carries . . .
die Zukunft ist deiner sicher, wie du ihrer. Ein Platz ist Dir angewiesen in der
Unsterblichkeit, wo Zukunft und Gegenwart in einander fliessen. Da
wirst du die Hand drücken einem Adam Krafft, einem Peter Vischer