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Volltext: Monatszeitschrift XV (1912 / Heft 3)

Pontarlier". Ansichten aus der Berg- und Gletscherwelt sind die Spezialität von Jeanes 
Lemordants Darstellungen: der „Wind" und „Die Heimkehr" sind so krähig gestrichen, 
daß man den Eindruck hat, als fände es der Künstler unter seiner Würde, mit einem 
weniger als handbreiten Pinsel zu malen. Es liegt viel Talent in seiner Komposition. 
Henri Marret huldigt der Exzentrizität, die Ölfarbe so dick aufzutragen, daß seine Bilder 
wie eine Reliefkarte aussehen. Abgesehen davon verfügt er über ein bedeutendes 
künstlerisches Können. Sehr sympathisch sind die holländischen, beinahe farblosen Land- 
schaften von Louis Perinet. In schreiender, herbstlicher Farbenpracht machen sich die 
Waldbilder von Alfred Smith bemerkbar. Eine ganze Wandiläche ist den exotischen. 
orientalischen Frauentypen von Andre Sureda gewidmet. Es ist offenbar ungünstig für 
dieselben, wenn man gleich zwanzig solche Bilder, alle im gleichen Stil, zu nahe neben- 
einander sieht. Einzeln betrachtet, sind es vorzügliche kräftige Kohlenzeichnungen, da 
und dort mit etwas Farbe ergänzt (dessins rehausses). Manzano-Pissaro scheint sich von 
den japanischen Lichtdrucken Ideen geholt zu haben. Trotzdem die Wahl der Sujets sich 
auch daran anschließt, sind seine Opiumraucherinnen und badenden Frauen zwischen 
Enten und Schwänen lange nicht so anziehend wie die der echten japanischen Kunst. 
Zu den Gesprächen über die letzten Neuigkeiten gehört unbedingt der Meinungsaus- 
tausch über die „Futuristes italiens". 
Diese in der Galerie Bernheim stattfindende Ausstellung will oder muß jeder gesehen 
haben! Die beiden kleinen Säle, welche die „ultramodernsten" Kunstwerke beherbergen, 
sind immer gesteckt voll, und wer sich dort einmal auf einen Sitzplatz niederläßt, geht 
nicht mehr fort: es ist ein ununterbrochenes Theater, die Mienen und Aussprüche der 
verblüfften Besucher zu beobachten. Den „Futuristen" ist es entschieden gelungen, hier 
Sensation zu erregen, ja es gibt sogar Menschen, welche sich eifrig bemühen, in den Geist 
dieser neuen Auffassung der Malkunst einzudringen. Mit der Feder läßt sich die Sache 
nicht gut beschreiben, die Bilder selbst enthalten auch keine Antwort auf die Frage, zu 
welchem Zweck und aus welcher Anregung sie eigentlich entstanden sind. 
Man muß den Katalog zu Hilfe nehmen, denn es trägt entschieden zum Humor der 
Sache bei, wenn man die Benennungen der einzelnen Bilder kennen lernt. So erfährt man 
zum Beispiel, daß lauter zerstreute Teile eines Frauenbildnisses (als wäre es zerschnitten 
und ganz unrichtig zusammengefügt worden) „la danseuse obsedante" heißt! Ein anderes, 
in welchem Hände und Frauenköpfe in einem Gewirr von feuerwerkartigen Linien planlos 
hcrumschwimmen, ist „Souvenirs d'une nuit" betitelt. 
Die meisten Bilder der Futuristen sind äußerst grell in der Farbe und setzen sich 
aus lauter eckigen Teilen zusammen, wodurch sie einigermaßen an den Kubismus des 
letzten Salon d'Automne erinnern. Fast immer ist das Sujet ein Chaos, so ähnlich wie 
man sich den Anblick einer Dynamitexplosion vorstellt. 
Die ausstellenden Künstler, deren fünf: Boccioni, Carra, Russolo, Balla, Severini, 
lassen es an keinem Mittel fehlen, um ihr anarchistisches Kunstkredo in die Welt zu 
posaunen. Ein umgehendes „Manifest an das Publikum" als Vorwort im Katalog und die 
in der Ausstellung abgehaltenen Vorträge von F. T. Marinetti verdammen alles, was bis 
jetzt auf dem Gebiet der Malkunst geleistet und geschätzt wurde. Alles, was etwas Still- 
stehendes darstellt, ist verächtlicher „Passeismus"! Die neue Kunst arbeitet nicht nach 
einem Modell, sondern trachtet danach, gleichzeitig den Eindruck der Bewegung und den 
eines Seelenzustandes in einem Bild zu verkörpern! Diese neue Abart, um nicht zu sagen 
Ausartung, der modernen Bestrebungen gibt immerhin zu, daß ihre Werke nur der erste 
Grundstein der Zukunftsmalerei sind. Sie nennen ihre Schule „Primitivisme Futuriste". 
Von der Anerkennung des Publikums wird vorläufig ganz abgesehen, die Menschen 
müssen erst lernen, ihre durch jahrhundertelange Traditionen verdorbenen Sehorgane ganz 
anders zu gebrauchen! Man denkt unwillkürlich, daß die in Italien so besonders beliebten 
Kinematographen einen geistigen Zusammenhang mit der Entstehung des Futurismus 
habgfh Th. Kulmer
	        
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