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Volltext: Monatszeitschrift XV (1912 / Heft 6 und 7)

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Die Leistungsfähigkeit der Deutschen steht auf der Basis der 
eigenen Begabung und der Aufnahme fremder, werthvoller Fortschritte 
unserer Zeit. Aller Finanz- und ähnlicher Nöthen ungeachtet im Wachsen, 
sind die Städte namentlich gediehen; Wien ist im Begriffe eine Welt- 
stadt zu werden. S0 viele Schläge das Gesammtwohl des Staates in 
letzter Zeit erlitten hat, dennoch steht Wien in voller Blüthe und darf 
auf die Vollendung der Donauregulirung und die Eröffnung der Welt- 
ausstellung als auf die wichtigsten fördernden Factoren ihrer kündigen, 
Entwickelung hofen. Seine neuen Theile haben etwas speciiisch Wiene- 
risches in der künstlerischen Art und Weise der Anlage, doch begegnet 
man hie und da einem eigenthümlichen Einiiusse Berlinerischer, Münch- 
nerischer und französischer Elemente; diese Einflüsse weichen jedoch 
dem einheimischen Kunstgenius. Und dieser warf sich vollständig der 
Renaissance in die Arme, einer Renaissance, die eigenartig, sich wesent- 
lich von der neugriebhischen Renaissance des SchinkeYschen Berlin und 
von jener in Paris unterscheidet, die, auf nationalem Boden stehend, die 
Traditionen Franz l. wieder aufgenommen hat. Die Wiener Renaissance 
hat den Vorzug einer poetisch-reizenden, oft selbst mit mittelalterlichen 
Elementen gemischten, spielenden Formenwelt vor Berlins stylgerechten, 
otl aber nüchternen Bauten voraus, und ihre Kunstindustrie zieht aus 
dieser Ueppigkeit eben so viel Nutzen, als das Trockene, Berechnete in 
den Werken der Epigonen Sehinkels auf das Gedeihen des Kunstgewerbes 
in Berlin drückend wirkt. 
Allerdings droht in jüngsten Tagen der frischen, echt künstlerisch 
begonnenen Wiener Bauthlttigkeit durch das fabrikmttssige Vorgehen der 
Baugesellschaiten, die den Künstler zur Maschine machen, eine ernste 
Gefahr. 
Bei so viel Vorzügen lassen sich doch auch die Schattenseiten un- 
seres Kunsttreibens nicht übersehen. Das grösste Hemmniss einer edlen 
Entfaltung desselben liegt in der Art, wie ein Theil der Gesellschaft als 
Besteller und Känfer_ den Künstlern und Kunsthandwerl-rern gegenüber 
sich erweist. Der unverständige Luxus dieser Gesellschaß, welche Stolz 
in ihre Bedürfnisse der Uebertreibung, des Aussergewöhnlichen und Auf- 
fallenden setzt, nicht das blos vernünftige und gebildetem Verlangen ent- 
sprechende, sondern das Extreme mit Begier anfsucht, ihre Liebe zu aus- 
schweifenden Formen in allen Künsten und ihre Bewunderung alles Aus- 
ländischen, - das sind die Hauptlibel, welche der Kunst in Oesterreich 
drohen. Die Kunst des leeren Scheines geht aus solchen Verhältnissen 
hervor und die echte verkümmert aus Mangel der Beförderung. Doch 
dürfen wir nicht verschweigen, dass bei einem andern, grossen Theile 
unserer Adels- und Geldaristokratie eine lobenswerthe patriotische Tendenz 
immer mehr an den Tag getreten ist. 
Ein anderer Mangel, dessen Folgen schon jetzt in den entstandenen 
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