THERESIANISCHER UND JOSEFINISCHER
STILSß VON EDUARD LEISCHING-WIEN St-
Theresien-Stil im weiteren und engeren Sinne
soll der Gegenstand des ersten Teiles dieser
Betrachtung sein. Im weiteren Sinne insofern,
als die Kunst der Epoche Maria Theresias aus
ihren allgemeinen Kulturverhältnissen, aus der
Lage des Staates nach innen und außen, aus den
sozialen Zuständen, den geistigen Tendenzen und
Stimmungen, der Sinnesart und Sinnesrichtung
der führenden Personen in großen Umrissen
entwickelt werden soll. Im engeren Sinne insofern,
als wir die Merkmale der bildenden Kunst Öster-
reichs in der Zeit von 1740 zunächst bis 1765, und zwar der hohen sowohl
als der angewandten Kunst, untersuchen wollen. Hierbei wird sich ergeben,
daß die österreichische Kunst unter Maria Theresia, allerdings nicht durchaus,
wie es geschieht, als Rokoko aufzufassen, was übrigens ein sehr schwankender
Begriff ist, bei aller Anlehnung an die allgemeine, vor allem französische
Stilrichtung der Epoche doch eine solche Geschlossenheit, Bodenständigkeit
und Eigenart aufweist, daß wir vielleicht mit größerem Rechte von einem
Maria Theresien-Stile sprechen können, wie wir von einem Stile Karls VI.,
Josefs I., Leopolds I. und Ferdinands III. sprechen. Auffällig und zu beklagen
ist es, daß wir noch kein allen Anforderungen genü-
gendes Werk über die Theresianische Kultur besit-
zen. Wohl hat uns Alfred von Arneth mit einer
klassischen Geschichte Maria Theresias beschenkt,
aber die zehn Bände dieses Werkes behandeln fast
ausschließlich nur die politische Gestaltung der Zeit,
von Kunst und Kultur ist kaum die Rede. Zahlreiche
Einzelschriften über die große Kaiserin enthalten
zumeist nur anekdotische Mitteilungen aus ihrem
reichen Leben. Aber wir besitzen noch immer keine
aus den Quellen geschöpfte Publikation über die
Maria Theresianische Kunst, ihre geistigen und
sozialen Voraussetzungen, und überhaupt noch keine
für weite Kreise lesbare Biographie der Kaiserin,
welche ihre und ihres Hofes Stellung zu den künstle-
rischen Aufgaben und Lösungsversuchen der Zeit
vornehmlich in Hinsicht der Interieurkunst und des
Kunsthandwerkes erörtern würde. Das sogenannte
Rokoko ist der letzte Ausläufer der Barocke, ihr
tk
w; Ä
Die Mehrzahl der Illustrationen dieses Aufsatzes ist nach im Auf- Deelrelgefäß vom Nachtzeug der
trage des Österreichischen Museums von Bruno Reiffenstein in Wien Kaiserin MariaTheresia, von An-
gemschten Naturaufnahmen hergestellt. ton Domanöck (Hofmuseum)
55