Eine Korsettfabrik baut eine Dunkelkammer wie ein Cafe du Neant auf und stellt
darein schokoladefarbene Puppen, und ein merkwürdiges Ornament, „nur zur Schau", sind
auch die auf dem Korsettrand aufgesetzten plastischen l-lermelinköpfe, die sich, wenn das
Kleid darüber kommt, als Wülste an sehr merkwürdiger Körperstelle markieren müßten.
jahrmarktsmäßig ist der Stand eines großen Pelzgeschäites, das sein kostbares
Material an Puppen vor dem schludrig gemalten Prospekt eines Theaterraumes zur
Ansicht bringt.
Schlimme dekorative Orgien triEt man auch sonst in dieser Branche. Eiszapfen aus
Stoff lappen, Eisblöcke aus Pappe mit transparenter Schrift, Vogelwiesen-Polarlandschaüen
mit Mitternachtssonne.
Ein Herrenmodegeschäft produziert sich als Wachsfigurenkabinett, eine mondäne
Bar soll vorgeführt werden, aber die „Gents" tragen unmögliche Bärte, fertige Krawatte,
eingesteckte Röllchen und Faltenhemdbrüste zum Abendausschnitt.
Gut ist das große Glashaus eines Seidengeschäftes mit seinen rieselnden Farben-
weben der Stoffe. Sie sind mit feinem Gefühl sinfonisch abgestimmt zu grünen und
blauen Harmonien, und ihre Wellen werden aufgenommen und klingen zusammen mit
den Tönen farbiger Perlenketten, chinesischer Poterien, dunkler Bronzen, gelber
Hatternder Orchideenrispen. Das ist ein Stück angewandter Kunst mitten im Barbaren-
land. Und daneben hält sich auch der Schauraum für Kosmetik, mit seiner juwelierhatten
Vitrine, um die ein zierliches Mannequin in lachsfarbenem, mit weißen Perlen gesticktem
gerafften Überkleid herumwandelt, und das außen etwas düstere Gehäuse eines
Schmuckgeschäftes, dessen schwarz ausgeschlagene Wände aber einen wirkungsvollen
Rahmen für die lichten hellsamtig gefütterten, tief eingebauten Schaukästen und ihrem
schimmernden Inhalt ergeben.
Der Katalog, der stolz anhebt „nun steht das Werk vollendet", spricht appellierend
von der Mühe und Fleiß, den diese Veranstaltung erforderte. Der Kritiker hat sich nur an
die Resultate zu halten. Und wenn man dieser Kritik ihre zu hochgegriffenen Maßstäbe
vorhält und sagt, daß es sich nicht um Luxus hier handelt, sondern um das biedere mittlere
Handwerk, so könnte man erwidern, um so schlimmer, wenn sich das biedere Handwerk
in Talmi-Eleganz gefällt. Und auf den Vorwurf, es wäre ungerecht, hier „angewandte
Kunst" zu verlangen, hier handle es sich um „praktische" Dinge, würde ich antworten:
Es scheint mir sehr wenig praktisch, eine Ausstellung von Objekten aus der Geschmacks-
sphäre in einer überwiegend geschmacklosen Einkleidung vorzuführen.
Mit einer bedeutsam modern-historischen Ausstellung eröffnet Paul Cassirer den fünf-
zehnten Jahrgang seines Hauses. Große vorteilhafte Raumveränderungen geben ihm ein
neues Gesicht. Ein weiter Oberlichtsaal beherrscht jetzt das Parterre und der hinzu-
genommene erste Stock bringt eine Reihe kleinerer Kabinette, beleuchtet durch das den
Bildern zugewandte und gegen den Betrachter abgeblendete Röhrenlicht, sowie den von
Alfred Gold geleiteten Salon für Graphik. Alles von schmucklosester sachlichster Einfachheit,
neutralsandfarben die Wände bespannt und die Wirkung lediglich durch die Werke.
Cassirer schrieb in seiner temperamentvollen Art selbst eine Einleitung zum Katalog
dieser Ausstellung. Er sagte darin, daß man seinen Salon den impressionistischen nenne
und fügt hinzu: „1898 bedeutete dies Schimpfwort Revolution. 1912 ist es wieder ein
Schimpfwort und bedeutet Reaktion." Mit dieser Ausstellung zeigt er dann, wie es hier
jenseits der Worte nur darauf ankommt, in der Kunst die Qualität zu erkennen und sich zu
ihr zu bekennen. So brachte er eine in einer solchen wertvollen Fülle kaum erhörte Ver-
sammlung von Meistern der letzten hundert Jahre zusammen, große Franzosen und große
Deutsche, dazu der jüngere Nachwuchs der Sezession. Ganz unsystematisch scheinbar,
ohne historische Gruppierung gehängt, einzig auf die malerische Wirkung des schön
gemalten Bildes hin. Und gerade dadurch anregend und voll besonderer Ausblicke.
Manet und Courbet erscheinen als Ahnherren. Von ersterem sind die Badenden in
ihrem weich lebendigen Hautton und die Bar in den Folies Bergeres mit ihrer prickelnden