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Optik außerordentlich charakteristische Zeichen dieses Meisters. Delacroix' Erinnerung
an Marokko hat das sinnlichste Farbenfuoco, an Flauberts Salambo kann man bei diesem
Künstler denken. Und an Stendhal und den napoleonischen Rausch der Gloire bei dem
heroischen Gericault. Von Daumier, der gleich Balzac die Alltagserscheinung Visionär
zusammenballt und in das Zwielicht einer Zwischenwelt taucht, sieht man Skizzen
schöpferischen Wurfes. Corot und Monets Lyrik, Van Goghs und Cezannes ringende Um-
wertung des Naturausschnitts zum künstlerischen Gebilde voll eigen souveränen Form-
willens bietet wechselnde Gesichte und Temperamente.
Von den modernen Franzosen der dekorativen Linie begegnet man Eduard Vuillard
mit einem Strandbild voll hauchiger Delikatesse.
Dann die Deutschen unter Führung Liebermanns, dessen alter Bauer in den Dünen
hier wiederkehrt und dessen „Kohlfeld bei Nordwyk" nicht alternde Meisterschaft erweist.
Voll heiter freier Anmut und groß dabei in der Form ist August Gauls Bronze des Esel-
reiters. Und Maillols Holzrelief der in einem Viereck eingeschriebenen ruhenden Frau mit
angezogenem Knie erscheint wie eine moderne Variation der Flötenspielerin auf dem
Aphrodite-Thron im Thermen-Museum in Rom.
Am gleichen Tage ward der neue Bau des Hauses Reiner und Lewinski in der
Linnestraße eingeweiht. Mit seinen Räumen im Palazzostil, Sälen, Galerien, vergoldeten
Balkonlogen, Gobelins, Renaissanceschränken, Marmorkaminen, Louis XV und Louis XVI-
Garnituren, Kassettendecken, I-Iochsitz- und Gestühlbaldachinen, mit seinen Kopien
französischer Schlösser (La Muette zum Beispiel) und englischer Herrensitze (Style Adam),
mit seinen pompejanischen Flurmalereien und antiken, elektrisch aufgebesserten
dreiarmigen Lampen schwelgt er in allen Kulturen, ohne eigene Kultur zu haben.
Interessant als Zeitsignatur. Vor zwölf jahren Van de Velde und heute Wiederkehr der
alten Götter. F. P.
LEIPZIG. INTERNATIONALE BAUAUSSTELLUNG LEIPZIG 1913.
Wie uns die Geschäftsleitung der Internationalen Bauausstellung mitteilt, ist der An-
meldetermin für private Aussteller auf der Bauausstellung, dessen Schluß ursprünglich auf
den x. Oktober festgesetzt war, bis zum I. jänner xgx3 verlängert worden.
PARISER AUSSTELLUNGEN. Schon im vorigen Jahre war die Kunst nicht
sehr glänzend vertreten, aber heuer hört man ganz besonders viele abfällige Urteile
über die Aussteller im „Salon d'Automne". Die Abteilung für Malerei und Skulptur enthält
auch nur einige wenige, vereinzelt auftretende, gute Arbeiten; die Ausstellung umfaßt
aber über aooo Nummern! Die Besucher am EröiTnungstage, insbesondere die Kunst-
kritiker, wurden schon dadurch sehr schlecht gestimmt, daß die Abteilung für Wohnungs-
einrichtungen, von der man sich am meisten versprach, nicht rechtzeitig fertig war. Es
vergingen beinahe zwei Wochen, bevor man dieselbe in vollendetem Zustande betrachten
konnte. Ich komme später auf dieses Thema zurück, obwohl die kunstgewerbliche Abteilung
unstreitig das einzig wichtige Ereignis des „Salon d'Automne" darstellt.
Gleich beim Eintritt muß man das Kolossalmonument von Joseph Bernard „Aux
Victimes de Ylnquisition" bemerken, eine schwerfällige Komposition von zweifelhaftem
künstlerischen Wert. Von demselben Künstler ist fast die ganze runde Eintrittshalle ein-
genommen. Nicht weniger als a4 Skulpturen, darunter einige kleine Stücke in Marmor,
von denen „Tendresse" und „Separation" unvergleichlich sympathischer wirken als der
erste Eindruck des ganzen.
Die übrigen Skulpturen sind mehr oder weniger in allen Räumen verstreut, wodurch
es sehr schwierig ist, sich über sie ein Gesamturteil zu bilden.
Ernile Bourdelle hat viele begeisterte Bewunderer; er stellt diesmal ein Doppel-
porträt in l-Iautrelief aus: die Schriftsteller Edouard und Tristan Corbiere. Die Wind-
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