Nr. 10/11
Internationale Sammler-Zeitung
Seite 139
in der ersten Dynastie (3400 bis 3000 v. Cli.) Expeditionen
dahin sandten und daß Kämpfe mit den Asiaten dort statt
fanden. Aber ob diese Expeditionen auf den Wegen, die die
Türken jetzt in umgekehrter Richtung zurücklegen, nach
Palästina gelangten, und was für Bevölkerungsrassen und
Regierungen sie dort an trafen, davon wissen wir nichts. Man
darf annehmen, daß sich dort Stammeskonföderationen oder
Stammeskönigreiche vorfanden, die in ihrer Organisation dem
ägyptischen Königtum glichen, obwohl dann die asiatischen
Fürstentümer sicher ärmer und weniger gut organisiert ge
wesen sind. Sicher ist, daß die Bewohner dieses Teiles von Asien
gleichzeitig mit der vierten ägyptischen Dynastie uns keine
Denkmäler einer hervorragenden Rasse oder einer großen
Zivilisation hinterlassen haben; Palästina hat davon nichts
bewahrt und wieder ans Licht gebracht. Augenscheinlich war
dort nichts für eine plündernde Armee zu holen, trotzdem
Malachit undDiorit auf der Sinaihalbinsel, Olivenöl in Palästina,
Zedernholz und andere Zedernprodukte auf dem Libanon und
Vieh und Sklaven in allen diesen drei Regionen sich vorfanden.
Alle diese fremden Produkte waren übrigens im alten ägypti
schen Reich ganz gewöhnlich und mögen ebenso wohl durch
militärische Expeditionen als durch Handel nach Ägypten
gekommen sein.
Aber der Rassentypus ist nicht die einzige unägyptische
Sache, die in Gizeh jetzt festgestelit wurde. Man fand — so
lesen wir in der „Frankfurter Zeitung" — in den Gräbern der
massiven Mastabas Töpfereien, die an palästinische Gefäße,
allerdings aus späterer Zeit, stark erinnern, die aber auch der
ägyptischen Kultur zugeschrieben werden könnten. Reisner,
der Berichterstatter des Bostoncr Bulletins, ist jedocli der
Ansicht, daß solche Gefäße Behälter für aus Syrien nach
Ägypten importiertes Zedern- und Olivenöl gewesen sind,
und daß die in den Mastabas von den Amerikanern gefundenen
Tonscherben syrische oder palästinische Töpferware repräsen
tieren, wie sie ähnlich, allerdings aus einer mindestens zwei
Jahrtausende späteren Zeit, auch in Gezer in Palästina zutage
gekommen ist. Von den acht Kalksteintöpfen, welche Fürsten
und Höflinge der Chephren-Familie wiedergeben, sind vier in
Kairo geblieben (wo mögen die Engländer sie hinverschleppt
haben ?) und vier in das Bostoner Museum gelangt. Diese
Porträts sind, was Kunst, geschichtliche und allgemein
menschliche Momente betrifft, von höchstem Interesse. Sie
repräsentieren Männer und Frauen, die Cheops und Chephren
im Leben gesehen haben und den Bau der ersten und
zweiten Pyramide miterlebten. Ohne Zweifel haben die
Vorbilder dieser Porträts in dem Totentcmpel des Cheops
einst geopfert und gesehen, wie der große Sphinx aus
der Felsenmasse heraus entstand, der jetzt auf austra
lische, kanadische und indische Banden herabschauen
muß.
Ein neuer Greco.
Von Julio Broutä (Madrid).
Vor kurzem ist in Madrid ein neuer Greco ent
deckt worden. Es ist erstaunlich, daß dem Spürsinn
der Grecoforscher eine der bedeutendsten Schöpfungen
des Meisters bisher entgehen konnte, ein wahrer Schla
ger aus der Glanzperiode seiner Malweise, mitten im
Herzen der Hauptstadt, im Lokal der Kongregation
vom Allerheiligsten Christus zu San Gines, wo täglich
Hunderte aus und eingehen, aber wie es scheint, die
dort seit Jahrhunderten hängenden Gemälde keines
Blickes würdigen. Oculos habent et non videbunt!
Dem kunstsinnigen Madrider Patrizier, Marquis Santa
Ana de Silvela, war es Vorbehalten, die glückliche
Entdeckung zu machen, und der neue Greco ist in der
Vorhalle des Prado-Museums ausgestellt worden.
Das 111 Zentimeter breite und 107 Zentimeter
hohe Bild behandelt ein Lieblingsthema des Greco:
„Die Vertreibung der Händler und Wechsler
aus dem Tempel“, ein Thema, das seinem pathe
tischen, leidenschaftlich aufgewühlten Temperament
so sehr lag. Schon früh, am Beginn seiner künstlerischen
Laufbahn, hat er sich in der Darstellung dieser bibli
schen Szene versucht und in der Folge ist er immer
wieder darauf zurückgekommen. Man kennt eine ganze
Serie von Grecobildern, denen dieser Stoff zu Grunde
liegt, und in denen sich die in einer unablässigen Folge
vollziehende Entwickelung des Künstlers beobachten
läßt.
Man kennt heute sechs verschiedene Stellen, wo
sich Exemplare von Grecobildern befinden, die die
„Vertreibung der Händler und Wechsler“ zum Gegen
stand haben. Ein Mr. Cook in Richmond und ein Mr.
Yarborough in London besitzen mehrere „Vertrei
bungen“ von Greco. In allen diesen Exemplaren knüpft
der Grieche noch an seine italienischen Vorbilder an.
Das Exemplar, das einer Frau Dolores Alonso in
San Sebastian gehört, sowie das der Londoner
„National Gallery“ sind bloße Repliken der vorer
wähnten und rühren wahrscheinlich nicht unmittelbar
von des Meisters Hand her; denn in dem von seinem
Sohn Jorge Manuel aufgestellten Inventarium werden
nur vier „Vertreibungen“ vermerkt. An der Echtheit
der beiden ersten, ebenso wenig wie an der der zwei
Exemplare spanischen Stils kann nicht gezweifelt wer
den. Von diesen befindet sich eines, das früher dem
spanischen Maler und Kunstgelehrten Aureliano Ber-
nete gehört hat, im Besitz eines Herrn Frick in New-
York, und das andere ist das eben entdeckte, das die
volle echte Unterschrift des Greco trägt. Dieses Exem
plar vervollständigt die Serie der Darstellungen eines
vom Maler von seinen Anfängen an bis zu seinem
Lebensende behandelten Stoffes und füllt demnach,
in des Wortes verwegenster Bedeutung, eine Lücke aus.
In den vier ersterwähnten Exemplaren zeigt sich
die venezianische Manier in ihrer ganzen Pracht
entfaltung, ihrem weitschweifig umständlichen Vor
trag, ihrem feurigen Farbengeschmetter, ihrem archi
tektonischen Raumleben. Dem entspricht auch das
mehr breite als hohe Format der Bilder. Wie ganz
anders in den spanischen Bildern! Hier schießt das
Format in die Höhe, und die Darstellung wird ge
schlossener und konzentrierter, einfacher und eindring
licher. Der Hintergrund idealisiert sich durch die Ent
fernung und Abtönung der baulichen Elemente, und
der ganze Vorgang rückt näher. Die Zahl der handelnden
Personen ist geringer, die Massen sind gegeneinander
abgewogen, die Gestalten verlängern sich, und die
Weiche der schwungbeseelten Kurven macht einer
aggressiven Winkeligkeit Platz. Alle unwesentlichen An
hängsel und Schmuckschnörkel sind weggefallen und
an ihrer Stelle liegt im Vordergrund, vor dem geißel-