Glücklicherweise ist die Anzahl der Werke geringer, deren Berücksichtigung durch
die persönliche Bedeutung der Dargestellten motiviert ist. Größer, insbesondere in der
zweiten Hälfte der Publikation, ist die Zahl der Bildnisse, die neben dem persönlichen
auch starkes künstlerisches Interesse besitzen.
Schon Tschudi hat mit seiner Jahrhundertausstellung die Bedeutung'des Porträts
für die Kenntnis der Kunst um 1800 hell beleuchtet, und der Gewinn, den die Kunstwelt
durch die Aufdeckung so vieler im Familienbesitz verborgener Schätze einer bisher wenig
beachteten Zeit erfuhr, der wohlverdiente Lorbeer des glücklichen Entdeckers, hat viele
Museumsdirektoren und Kunstfreunde seither in Atem gehalten.
Die vorliegende Publikation beweist, wie fruchtbringend dieser Anstoß war, und zeigt
wieder eine Reihe von Künstlern von einer neuer Seite, ergänzt in wertvoller Weise die
Kenntnis ihres Lebenswerkes. Man lernt aber auch bisher ganz wenig beachtete Namen
schätzen und sieht sie zu einer Bedeutung anwachsen, die einen dauernden Gewinn für
die Kunstgeschichte involviert.
Von Anton GraFf sind viele neue Bilder aufgetaucht; von Daniel CaFfe, dem Pastell-
maler, hat man früher wenig gekannt. Die Direktoren der Leipziger Kunstakademie
A. F. Oeser, dann F. A. Tischbein, außerdem ein älterer und ein jüngerer Tischbein
werden in der reizvollsten Weise durch anmutige Werke bekannter.
Die Empirezeit ist reichhaltig durch Werke vertreten, die um so mehr Bedeutung haben,
als es nicht gerade vorwiegend repräsentative Bilder sind, die gezeigt werden, sondern
solche, die Intimität besitzen. In noch höherem Maße ist natürlich die Innigkeit in den
Werken der darauf folgenden Biedermeierzeit zu finden, die durch Künstler vertreten ist,
deren Namen bisher noch seltener zu uns drangen. Die Maler: Matthäi, Georgi, Roeßler,
I-Iennig erlangen durch das Gebotene eine ganz neue Wertschätzung.
Von besonderem Reiz sind die Bildnisse, welche die Künstler in ihrer eigenen
Familie schufen, welche sie von ihren Frauen und Kindern zur eigenen Freude malten.
Hier verbindet sich die künstlerische Freude an der Erscheinung mit einer besonders
liebevollen und eindringenden Beobachtung und Kenntnis, so daß mehr wie sonst beim
Porträt die Seele aus dem Kunstwerk spricht. Was das Bildnis in seinen höchsten
Leistungen auszeichnet, daß es ein Dokument der Menschheit, der Milieus, ein gesteigerter
Ausdruck anziehender Persönlichkeit und edeln Zeitgeschmackes wird, das ziert gerade
diese so anziehenden Kindergruppen und Familienszenen Oesers, Tischbeins, I-lennigs und
erhebt sie zu besonderem Rang.
Ein wertvolles Werk der Malerei wird voll und ganz nur durch die Kenntnis des
Originals verstanden. Die Farbe und der malerische Reiz sind in keiner Reproduktion,
insbesondere in keiner Verkleinerung einwandfrei wiederzugeben.
Was aber die Lichtbildtechnik trotz ihrer Unvollkommenheit unzweifelhaft festhält,
das ist alles was durch den Gegensatz von Hell und Dunkel, von Weiß und Schwarz, von
Umriß und Flächenteilung gegeben werden kann und das liegt mehr auf dem Gebiete der
allgemeinen Charakteristik, des Gegenständlichen, der Erzählung und Beschreibung.
Sicherlich sind auch hier im Original viele wertvolle Kunstwerke von ganz anderer Wirkung
als im Lichtbild. Wer durch diesen immerhin unvollkommenen Ersatz zur Kenntnis der
Leipziger Porträte gelangt, wird am meisten von jenen erfreut werden, denen eine
anziehende Schwarz-Weiß-Wirkung eigen ist. Und gerade die so präzise intime und liebe-
volle Darstellungskunst des Empire und der Biedermeierzeit kommt einer solchen
Umsetzung durch das Lichtbild entgegen.
Die sehr sachliche und gründliche Beschreibung des Bilderverzeichnisses ergänzt die
Darstellungen so weit, daß gar manches eigenartige Menschenschicksal, gar manches
kulturhistorische bedeutende Ergebnis aus der Verbindung zwischen Lichtbilderfolge und
begleitendem Text erkannt wird.
So mag denn diese interessante Veröffentlichung allen jenen nahegelegt werden, die
an menschlichen Dokumenten Freude finden, die sich mit Hilfe der Führerschaft von