aber warum sollte der Meister im ersten Jahrzehnt des XVI. Jahrhunderts,
unter dem Eintiusse der Renaissancebewegung und der ungewohnten
Dimensionen dieser Figuren (bis über zwei Meter hochi), nicht zu einem
Gewandstil gelangt sein, der von seinen Jugendwerken so weit entfernt ist
wie der Gewandstil der Dürerschen Apostel von den knittrigen Gewändern
in früheren Arbeiten Dürers?
Immerhin verschließe ich mich nicht der Einsicht, daß die von Lübbecke
(in einem sehr lesenswerten Aufsatz über meine Publikation in der „Frank-
furter Zeitung") vorgebrachten Argumente zugunsten engerer Beziehungen
des Altars (und vor allem des Gewandstils der drei Mittelfiguren) zu Veit
Stoß, sehr erwägenswert sind. Vielleicht hat die damals (1505-1510) in voller
Blüte stehende Werkstätte des Würzburgers die tüchtigsten Kräfte der
eben damals brach liegenden und verfehmten Werkstätte des Veit Stoß an
sich gezogen? Daraus wäre ja manches zu erklären.
In meiner Datierung des Altars gestehe ich, durch Halms Einwendungen
nicht im geringsten irre geworden zu sein. Die Rüstung des heiligen Georg
stimmt in allem Wesentlichen vollständig mit jener des Dürerschen Reiters
von 1498 überein; nun ist aber wohl zu beachten, daß dies (nach Dürers
eigener Angabe) die neumodische Rüstung von 1498 war, so daß sie ganz
gut an einem zwischen 1505 bis 1510 entstandenen Schnitzwerk repro-
duziert werden konnte (schließlich ist ein Unterschied zwischen einem Altar
und einem Modejournal); hat sie doch Dürer selbst in einem um volle fünf-
zehn Jahre späteren Stich reproduziert (in „Ritter, Tod und Teufel").
Ein Kind von so ausgesprochenen Renaissanceformen wie das in den
Armen des heiligen Christophorus ist in der deutschen Skulptur vor dem
ersten Jahrzehnt des XVI. Jahrhunderts gar nicht zu denken; nicht zu über-
sehen sind die Renaissanceelemente in der Architektur der „Verkündigung",
die Anklänge an Dürers „Marienleben" (1510) und so weiter. Dagegen hängt
Pillweins Jahreszahl 1495 völlig in, der Luft, und daß das 1497 datierte
Kruzifix in der Kefermarkter Kirche „wohl erst nach Errichtung des Hoch-
altars geschnitzt wurde", müßte denn doch erst bewiesen werden!
Und nun nur noch zwei tatsächliche Berichtigungen. Auf Geistbergers
Aufsatzreihe und seine Riemenschneider-Hypothese (die, wie Oberchristl
am angeführten Orte inzwischen mitgeteilt hat, von vielen andern -
Künstlern und Forschern - geteilt wurde, bin ich durch die Freundlichkeit
Dr. Zibermayers (der als erster die Konkurrenzidee der beiden Wallfahrts-
kmirchen aufgestellt und begründet hat, die jetzt von I-Ialm über Gebühr
„gepreßt" wird) aufmerksam gemacht worden, nachdem mir die Beziehungen
des Altars zu Riemenschneider bereits klar geworden waren; ich bin daher
nicht von Geistberger „vertührt". Und die Lederrnaske des heiligen Wolfgang
ist ihm, nach der Erzählung des ältesten Kefermarkters, tatsächlich auf
Stifters Veranlassung abgenommen und noch lange gezeigt worden; es war
also doch etwas anderes als eine „Grundierung". Hermann Ubell