„Apotheose" heißt diese Komposition; ich merkte mir davon nur eine große iiiegende in Rot
gekleidete Gestalt, welche offenbar die Republik darstellt, und überlasse es andern, sich in
die übrigen Teile des Bildes einen Sinn hineinzudenken. Mysteriös in der Bedeutung. aber
eine Freude für das Auge ist das Bild mit den drei Parzen („Malgre les Parques" genannt)
von Levy Dhurmer. Gaston La Touche vereinigt eine geistreich frivole Künstlerphantasie
mit einer meisterhaften Beherrschung der Farbenwirkungen. Seine Arbeiten könnten denen
der besten französischen Meister des XVIII. Jahrhunderts würdig zur Seite stehen. Die drei
Bilder im diesjährigen Salon, ziemlich große dekorative Kompositionen, heißen: „Jeunesse"
(zwei junge Paare auf einer sonnig durchleuchteten Terrasse), „La nuit joyeuse" und „La
lecon d'anatomie", welch letzteres stark an die Phantasie eines Fragonard anklingt.
Von Aman-Jean sehen wir hier zwei große allegorische Stücke, „La force et la loi",
welche für ein ausländisches Parlament bestimmt sind. Es stellt dies leider vor allem eine
Aufgabe dar, welche den Fähigkeiten des Künstlers nicht entspricht. Menard ist immer
klassisch, etwas düster, aber vorzüglich, so auch seine in ein fahles Dämmerlicht
gekleideten „Baigneuses". Die unvermeidlichen Szenen aus dem Volksleben der Bretagne
von Cottet fehlen auch diesmal nicht, ebensowenig die stets so anziehenden I-Iafen- und
Schiiferbilder von Le Gout-Gerard. Die amüsanten Genrebildchen von Guillaume machen
auch den Eindruck von guten alten Bekannten, die immer wieder ein heiteres Geschichtchen
zu erzählen wissen. Einige weniger bekannte Namen (zum mindesten in Paris) fallen
durch hervorragend feine künstlerische Leistungen auf; so eine Serie von Genrebildem
aus dem Leben der arbeitenden jungen Mädchen. Jedes einzelne ist eine ganze Erzählung,
zumeist melancholischer Natur, die Myron Barlow mit den besten künstlerischen Eigen-
schaften in Form und Farbe ausgestattet hat. Ein würdiger Nachbar, ebenfalls Amerikaner,
ist Carl Frederic Frieseke. „Avant de paraitre" zeigt uns eine anmutige Tänzerin, die sich
vor ihrem Toilettetisch schmückt.
Wer es liebt, das Meer in allen seinen Phasen bewundernd zu betrachten, wird auch
vor den Bildern von Harrison eine lebendige Sensation empfinden. Von seinen vier großen
Wellenbildern birgt jedes eine verschiedene wundervolle Stimmung. Le Sidaner ist einzig
in seiner Art, vibrierende Luft- und Lichteffekte zu schaEen. Von den sechs Bildern, die er
diesmal bringt, kann man nur sagen, daß er sich selbst übertroffen hat.
Meisterhaft in ihrer Art sind wie immer die Landschaften von Pierre Waidmann
sowie jene von Dauchez, von Raffaelli und von Abel Truchet.
Anläßlich der Porträte vergaß ich die Gruppe von Tade Styka zu nennen, welche die
drei Könige des Gesanges an einem Tisch vereinigt: Caruso, Titta Ruffo und Chaliapine;
alle drei sind glänzend getroffen.
Die Spanier können es nicht unterlassen, durch tragische oder schauerliche Sujets
Aufmerksamkeit zu erheischen. So sehen wir die trauernden Jüdinnen arn Friedhof, welche
sich neben den Gräbern auf der Erde winden, und einen grausigen Schlangenfresser.
Beides von Andre Sureda. Dann ein großes Bild „Tod des Toreador" von Vasquez-
Diaz, welches übrigens eine sehr saubere künstlerische Leistung ist. Von der „goldenen
Hochzeit" von Zubiaurre ist auch nur Gutes zu sagen. .
Ein großes dekoratives Panneau von Willette, eine Szene in einem Pariser Nachtlokal
darstellend, „La valse chaloupee", ist ebenso interessant wie die meisten Arbeiten dieses
geistreichen Künstlers. Die so bekannte Blumenmalerin Madeleine Lemaire überrascht uns
(ich möchte sagen unangenehm) mit zwei großen Kompositionen, in denen nackte Frauen-
gestalten einen gar zuckrigen Eindruck machen. Eine der reizendsten nackten Gestalten,
eine Frau vor einem Spiegel, ist von Louis Picard. In dieselbe Kategorie gehören auch die
anmutigen Genrebilder von Muenier.
In der runden Halle, gleich beim Eingang, steht auch diesmal in der Mitte eine Arbeit
von Meister Rodin. Seine Kunst wird, wie mir scheint, von Jahr zu Jahr unverständlicher.
Es wird wohl für die meisten ein Rätsel bleiben, was mit dieser großen unfertigen Männer-
iigur in Gips gemeint ist? Im Katalog ist sie einfach als „Plätre" bezeichnet. „Buste",