der echten Volkskunst aufmerksam machen. Durch unsere
vornehmlich wissenschaftliche und klassische Bildung
stehen wir leider solchen Erzeugnissen etwas fremd und
mit gänzlich falschem Maßstab gegenüber. Dabei ist die
Volkskunst, wenn wir sie nicht der sogenannten Bauern-
kunst gleichsetzen, durchaus keine Leistung zweiten
Ranges, vielmehr ein selbständiges Gebilde, das seine
Kraft weniger in der Stilmode als im I-Ieimatboden und
im Herzen des Volkes hat. Beispiele wie die Oldenburger
Schnitzwerke wird man auch sonst entdecken, vielleicht
aber keine so charakteristischen in dem vollkommenen
Zusammenschluß von Material, Technik, Form und gei-
stigem Inhalt. Die Figuren wirken an Ort und Stelle,
selbst in der Umgebung von Beispielen der
„höheren kirchlichen Kunst" (veröffent-
licht in der „Zeitschrift für christliche
Kunst", XXV) unmittelbar. Mehrfach sind
Architekten, Direktoren von Kunstge-
werbeschulen oder Kunstgewerbler bei
flüchtigem Durchgang durch die Mu-
seumsräume gerade vor diesen beschei-
denen Schnitzwerken stehen geblieben
und deuteten durch Überstreichen mit der
Hand an, daß sich hier Gegenwart und
Vergangenheit verstehen.
Allerdings stand die Schnitzkunst am
Kmmmgende, um Ausgange des Mittelalters in voller Blüte,
Swslrlöhßlv Mehr, nur nicht gerade in dem Sinne, wie es
o'dfs"fo'f',äjfgj',jjj;"m unsere moderne Zeit haben möchte, weil
man die Grenzen von Material und Technik
übersah und zuweilen durch Stoffspielerei, Glätten der
Schnittkanten und geschickte Übertreibungen zur Virtuosität
ausartete. Zu derartigen Überfeinerungen stehen die
Oldenburger Figuren in direktem Gegensatz, ohne daß sie
die Gemeinsamkeit der Stilmode ganz verleugnen. Die
Gewandbehandlung im Rücken der Christusiigur findet
freilich ihre Parallele im romanischen Zeitalter; solche
Furchenschnitte erinnern uns wohl gar an die ältesten
Skulpturen, an den bekannten Braunschweiger Cruzitixus.
Vielleicht gibt das Material eine Erklärung für diese
Beschränkung. Während alle übrigen mittelalterlichen
_ _ _ . Kreuztragender
Arbeiten llTl Museum aus Eichenholz geschnitzt sind, Christus (Rückseite),
besteht diese überlebensgroße Gestalt aus Pappelholz; lälizzfufgizrfgzi'ggä
diese Holzart erleichtert zwar die Arbeit, läßt aber den 15oo,Pappelholz