bewegen: es ist, um es deutlicher zu machen, als ob die Etappen einer Momentaufnahmen-
Reihe auf eine Platte geraten wären. Und ebenso ist es bei dem laufenden Hund an der
Leine. Der Maler löst die Bewegung in ihre Bestandteile auf, so wird jedes Hundebein
vervielfacht, huschig, wischig; es sieht aus wie krause Chitfonvolants.
Wilhelm Busch hat diese optische Vervielfältigung von Gliedmaßen bei heftiger
Motion gern der witzigen Wirkung wegen angewandt, bei diesen modernen Problematikern
spricht wohl mehr der Wunsch, das zu zeigen, was hinter der konventionellen, nur die
Resultate erfassenden summarischen Ansicht der Dinge steckt.
Schon aus den nach grüblerischem Spintisieren schmeckenden Titeln merkt man diese
Absicht; dargestellt soll werden die „Auflösung von Personen an einem Tisch", oder die
„Auflösung der Fläche einer Lampe, einer Flasche, einer Zuckerdose"; oder „zentrifugale
Kräfte" werden durch auseinanderstiebende geometrische Figuren demonstriert. Das
wirkt sehr gehirnmäßig und abstrakt, malerischer wird es, wenn furiöse Bewegungen mit
einer zusammenraffenden Pinselgeste synthetisch statt auflösend gepackt werden. So in
dem vor Glut, Raserei und Laternenlicht-Gestiebe zischenden Autobild von Ugo Gianatasio,
des Fußballspieles von Gleizes, der vehementen, nur durch Wirbel-Strich-Zyklone gege-
benen Drescher des Russen Burljuk. Das Stoßliche, des Vorgangs erscheint dabei möglichst
entmateralisiert, es dient nur als Vorwand, um die Bewegung in besonderer Form auszu-
drücken. Also gewissermaßen absolute malerische Musik, während Lyonel Feininger, der
aus einer ganz andern Gegend in dieses Neuland verschlagen ward, in seinem Radrennen,
bei aller Aufgelöstheit des vorübersausenden Schattenspiels, immer noch darstellerisch
bleibt und im Stoffbereich.
Diese Dinge sind jedenfalls, unabhängig von persönlichem Wohlgefallen, diskutierbar.
]enseits der Debatte aber steht für mich ein Stück wie das Porträt Marinettis von
Severini, das mit den Mitteln eines angehefteten Bartes aus wirklichen Haaren arbeitet
und mit aufgeklebten Zeitungsfetzen, auf denen futuristische Verkiindigungen stehen.
Solche Panoptikum-Kombinationen sind weder neu noch originell, jedenfalls jedoch
recht unkunsthaft.
Hingegen läßt sich bei den Kubisten mancherlei Interessanter-es herumraten, sofern
sie nämlich nicht nur ihre geometrischen Schnittliächen formal zusammensetzen, sondern
dabei farbig komponieren. Da kommen manchmal sehr reizvolle Flächendekorationen
heraus, koloristische Mosaiken von perlgrauen Harmonien, schwarz überschattet, von
zwitschernden bunten Tönen durchsprüht. Es ist am richtigsten, wenn ein solch
malerisches Email cloisonne einfach „Bild" genannt wird, wie viele der Maler tun:
Bild x, Bild a, gemäß der Opuszählung des Komponisten, anstatt daß der Katalogvermerk
einen veranlassen will, ein Porträt oder die Wiedergabe eines „Nackten Modells im
Atelier" heraus zu okulieren.
Anspruchsvoll und billig in der Arbeit diinkt es jedoch, wenn Piet Mondrian auf
zwei Leinwanden gefügtes Mauerwerk anbringt und das „Gemälde I und II" betitelt.
Man beobachtet eins in dieser Richtung. Häufig gilt nicht die Zentralperspektive, nicht
die überkommene Art, daß der Beschauer gleichsam in das Bild hineinschreitet und
geradeaus hineinschaut, sondern es handelt sich um eine Niedersicht: man erblickt
die Dinge von oben nach unten, aus der Vogel- oder moderner ausgedrückt aus der Aero-
perspektive.
In einem sehr erkenntnisvollen Buch Curt Glasers über die ostasiatische Kunst
kann man erfahren, daß diese Axt charakteristisch für chinesische und japanische Land-
schaftsmalerei ist. Und so merkt man wieder den immer noch nicht genügend betonten
Zusammenhang jüngster Künste mit der Exotik. Man kann sich dabei auch japanischer Holz-
schnittporträte erinnern (aus der Akademieausstellung), die in ihrer Zusammensetzung
aus geometrisch abgesetzten Schnittliächen als kubistisch überraschten. Und die exotische
Verwandtschaft wird hier auch selbst betont durch Reisbilder des Ostens und durch
indische Tigerjagdszenen in Flächendekor.