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Doch nun zurück zum Motiv der Niedersicht.
Die überschneidenden Formationen der Dächer, die von oben gesehen sich so merk-
würdig ineinander verschieben und verbiegend einkrümmen, findet man öfters. (Die
grandioseste Naturkubisük ist übrigens das optische Gegeneinander beider Pyramiden von
Gizeh.) Francis Picabia bringt dann ein spitzkantiges Zackengewirr als Häusermeer von
großer Höhe her erfaßt und nennt dies etwas übertrieben mit einem großen Wort
Newyork.
Sehr gelungen und malerisch bestechend fand ich eine wieder von oben gesehene
Prozession, die sich in solcher Ansicht manifestiert als ein Schwarm dahinwehender
weißer Nonnen-Flügelhauben, iiberflattert von bunten Kirchenfahnen, also das farbige
Phänomen eines stofflichen Vorganges, möglichst losgelöst vom Gegenständlichen. Und
um dies zu erreichen, wird der Blick von oben gewählt, die Niedersicht, die nicht von dieser
Erde ist und einen unkonventionellen unleiblichen Anblick der Dinge liefert.
in z. PI!
Eine andere Gruppe stellt sich dar, man möchte sie Part du feu nennen. In ihr
finden sich zusammen die Anbeter des Lichts, der Sonne, des Mondes. Und, wie bei dieser
jüngsten Kunst die Wissenschaft immer mitspricht - Schwiegermutter Weisheit als Lady
Patroness der Phantasie - so mühen sich diese „Luministen" um die Spektralanalyse
und um das Prismensystem. Delaunay und Sonia Delauney-Terk vertreten diese Partei
besonders instruktiv, ihre Bilder könnte man „Lichtspiele" nennen, üimmernde Kaleido-
skopien leuchtender Ringe und Kreise, Astralvisionen, Regenbogenextasen. Und manchmal
denkt man auch an die Magie der farbig überlaufenen Lichtreklamen auf den Boulevards
der geliebten „ville de lumiere".
Diesen verwandt erscheint Kandinsky, man möchte sagen, er mischt die Elemente
Feuer, Wasser, Luft (nur nicht Erde) zu einem malerischen Raketenwerk. Seine Palette
ergießt sich in trunkenen Emanationen. Orgien der Koloristik, oft von bestrickenden selt-
samen I-Iarmonien, „ganz von jedem Zweck genesen", ein musikalisches Wigalla walla der
Farben in unendlichen Melodien. Und wieder fühlt man, das ist von dieser Erde nicht, eher
stammen die Anregungen zu solchen Kompositionen aus dem unendlich schwebenden
wallenden Wandelreich der Wolken.
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Noch manches bliebe anzumerken. Interessante Vergangenheitszusammenhänge:
Steinhardts Jeremias-Studien in Grecos Manier, klüftig, in schlottenden Rinnsallinien der
Zeichnung des Menschen im Höhlengestein; eine Strichführung, die man als Klagekurve
ansprechen könnte; dann die dunklen glühenden Köpfe von Jawlensky, die an den merk-
würdigen exotischen Byzantinismus ägyptischer Mumiengesichtsmasken christlicher
Zeit aus der Landschaft Fayum erinnern.
Weiter alpdruckerfüllte Phantasiestücke. Stark finde ich die apokalyptischen Tier-
erscheinungen von Franz Marc. Seine heulenden Wölfe, sein Turm der blauen Pferde
(mir fällt dabei das Pferd mit der blauen Mähne auf der Akropolis zu Athen ein) sind
erlebniserfüllte Träume. Und die Landschaften, in denen diese Geschöpfe ihr gespenstisches
Wesen treiben, haben etwas vom Chaos des Anfangs oder auch vom Weltuntergang, mit
prasselndem Zusammensturz in einen farbenschäumenden Abgrund.
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ü:
Auch Ahnenkultus treibt man. Man brachte, was freilich die Sezession schon vor-
gemacht, eine Reihe von Bildern des toten Henri Rousseau zusammen, der ein kleiner
französischer Beamter war und auf eigene Hand autodidaktisch malte, was und wie es ihm
Spaß machte, Hächenhafte Ansichten von Paris, paysages exotiques, Urwald mit Affen in