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Volltext: Monatszeitschrift XVI (1913 / Heft 11)

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Doch nun zurück zum Motiv der Niedersicht. 
Die überschneidenden Formationen der Dächer, die von oben gesehen sich so merk- 
würdig ineinander verschieben und verbiegend einkrümmen, findet man öfters. (Die 
grandioseste Naturkubisük ist übrigens das optische Gegeneinander beider Pyramiden von 
Gizeh.) Francis Picabia bringt dann ein spitzkantiges Zackengewirr als Häusermeer von 
großer Höhe her erfaßt und nennt dies etwas übertrieben mit einem großen Wort 
Newyork. 
Sehr gelungen und malerisch bestechend fand ich eine wieder von oben gesehene 
Prozession, die sich in solcher Ansicht manifestiert als ein Schwarm dahinwehender 
weißer Nonnen-Flügelhauben, iiberflattert von bunten Kirchenfahnen, also das farbige 
Phänomen eines stofflichen Vorganges, möglichst losgelöst vom Gegenständlichen. Und 
um dies zu erreichen, wird der Blick von oben gewählt, die Niedersicht, die nicht von dieser 
Erde ist und einen unkonventionellen unleiblichen Anblick der Dinge liefert. 
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Eine andere Gruppe stellt sich dar, man möchte sie Part du feu nennen. In ihr 
finden sich zusammen die Anbeter des Lichts, der Sonne, des Mondes. Und, wie bei dieser 
jüngsten Kunst die Wissenschaft immer mitspricht - Schwiegermutter Weisheit als Lady 
Patroness der Phantasie - so mühen sich diese „Luministen" um die Spektralanalyse 
und um das Prismensystem. Delaunay und Sonia Delauney-Terk vertreten diese Partei 
besonders instruktiv, ihre Bilder könnte man „Lichtspiele" nennen, üimmernde Kaleido- 
skopien leuchtender Ringe und Kreise, Astralvisionen, Regenbogenextasen. Und manchmal 
denkt man auch an die Magie der farbig überlaufenen Lichtreklamen auf den Boulevards 
der geliebten „ville de lumiere". 
Diesen verwandt erscheint Kandinsky, man möchte sagen, er mischt die Elemente 
Feuer, Wasser, Luft (nur nicht Erde) zu einem malerischen Raketenwerk. Seine Palette 
ergießt sich in trunkenen Emanationen. Orgien der Koloristik, oft von bestrickenden selt- 
samen I-Iarmonien, „ganz von jedem Zweck genesen", ein musikalisches Wigalla walla der 
Farben in unendlichen Melodien. Und wieder fühlt man, das ist von dieser Erde nicht, eher 
stammen die Anregungen zu solchen Kompositionen aus dem unendlich schwebenden 
wallenden Wandelreich der Wolken. 
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Noch manches bliebe anzumerken. Interessante Vergangenheitszusammenhänge: 
Steinhardts Jeremias-Studien in Grecos Manier, klüftig, in schlottenden Rinnsallinien der 
Zeichnung des Menschen im Höhlengestein; eine Strichführung, die man als Klagekurve 
ansprechen könnte; dann die dunklen glühenden Köpfe von Jawlensky, die an den merk- 
würdigen exotischen Byzantinismus ägyptischer Mumiengesichtsmasken christlicher 
Zeit aus der Landschaft Fayum erinnern. 
Weiter alpdruckerfüllte Phantasiestücke. Stark finde ich die apokalyptischen Tier- 
erscheinungen von Franz Marc. Seine heulenden Wölfe, sein Turm der blauen Pferde 
(mir fällt dabei das Pferd mit der blauen Mähne auf der Akropolis zu Athen ein) sind 
erlebniserfüllte Träume. Und die Landschaften, in denen diese Geschöpfe ihr gespenstisches 
Wesen treiben, haben etwas vom Chaos des Anfangs oder auch vom Weltuntergang, mit 
prasselndem Zusammensturz in einen farbenschäumenden Abgrund. 
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Auch Ahnenkultus treibt man. Man brachte, was freilich die Sezession schon vor- 
gemacht, eine Reihe von Bildern des toten Henri Rousseau zusammen, der ein kleiner 
französischer Beamter war und auf eigene Hand autodidaktisch malte, was und wie es ihm 
Spaß machte, Hächenhafte Ansichten von Paris, paysages exotiques, Urwald mit Affen in
	        
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