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Volltext: Monatszeitschrift XVII (1914 / Heft 1)

fast aggressiv gegen die Leinwand geführten schwar- 
zen Pinselstriche mit ihren nach unten schlierenden 
Farbfetzen fügen sich als emotionale Ausdruckträger 
nahtlos in das Stimmungsgefüge ein. Die zumeist frei 
aufgetragenen breiten Farbspuren fungieren darüber 
hinaus als kompositionelle Verbundstücke der Sieb- 
drucke untereinander und fernerhin als Vergegenwärti- 
gung des Künstlers Fiauschenberg ins Bild hinein, 
womit wiederum zugleich die Zeugenschaft der Bild- 
aussage durch seine Anwesenheit bekundet wird. 
Ebenso wie der Adler in wEarth Day: und in wKiteli auf- 
taucht. und nicht nur als erzählendes, sondern stärker 
noch als poetisches Stimmungsmotiv versetzt ist. greift 
Rauschenberg häufig auf vergleichbar markante 
Motive zurück, welche auf die Gegenwärtigkeit des 
durch sie Repräsentierten in verschiedenen Zusam- 
menhängen aufmerksam machen. Zu solchen Versatz- 
stücken zählen u.a. gleichfalls die in historischen Uni- 
formen aufmarschierenden Soldaten, die wiederholt in 
wLocku (1964) und wDie hardr (1963) auftreten. oder 
auch der Army-Hubschrauber in nDry Celle (1963) und 
nTracerti (1964). wo sich auch der Adler wiederfindet. 
Nicht immer bezieht Rauschenberg Stellung aus- 
schließlich zur Bedrohung menschlichen Lebens und 
Lebensraumes durch irrational geleitetes Handeln. Er 
beobachtet auch den erfolgreich Handelnden. etwa im 
Sport', und besonders den modernen Menschen in sei- 
ner technischen Fortschrittlichkeit. Hier gerade zeich- 
netersichkraftseinerRationalitätaus.dieerpositivnut- 
zen kann. um seinen Lebensraum zu erforschen und 
seinen Gesichtskreis zu erweitern. ohne zugleich seine 
Moral zu gefährden. Das sieht Rauschenberg vor allem 
inderÄra Kennedys verwirklicht. mitdessen Popularität 
sich lange Zeit die Hoffnung einer Wende in der ameri- 
kanischen Kultur und Gesellschaft symbolisch ver- 
band. Sein Bildnis findet sich denn auch noch nach sei- 
nem gewaltsamen Tode in mehreren Arbeiten Rau- 
schenbergs wieder. z. B. in wQuotec (1 964) oder vRetro- 
active-r (1964). 
Gleichwohl begleitet die Heroisierung dieser Zeit in sei- 
nen Bildern eine sichtbare Skepsis. die sich aus einer 
momentanen. überschwenglichen Begeisterung über 
technische Errungenschaften und einem zu einseitigen 
Glauben an deren Möglichkeiten nährt. So hat er in i-Die 
hard-i den Landungsverlauf der Raumkapsel des US- 
Astronauten G. Cooper in seinen einzelnen Phasen 
gleich zweimal festgehalten und die Kapsel selbst nach 
der geglückten Landung im Ozean groß eingeblendet. 
Diese Stationen des Manövers waren im damals neuen 
Farbfernsehen live zu verfolgen und Anlaß für Rau- 
schenberg. beide Fortschritte der Technik sofort aufzu- 
greifen und ihnen in einem Triptychon zu huldigen. 
Zugleichaberkonfrontierterden BetrachtermitAnspie- 
lungen aufdenkbare und sich eben aus derTechnik und 
ihren Möglichkeiten heraus entwickelnde Gefahren und 
dämpftdaduroh empfindlichjenenGegenwartsoptimis- 
mus. dem die Fortschrittsgläubigkeit ihre Scheuklap- 
pen aufsetzt. Als Zeichen für eine verstandesmäßig 
kaum kontrollierbare. dennoch aber in der Entwicklung 
rationalen Fortschrittes immer mitschleichende Gefah- 
renzone. stehen neben den Bildern der Raumkapsel 
wiederum die aufmarschierenden Soldaten in histori- 
schen Uniformen und direkt daneben spielende Kinder. 
der ebenfalls schon bekannte Army-Hubschrauber und 
im Katastropheneinsatz stehende Feuerwehrmänner. 
ln ihrer glühend roten und gelben. ganz vunrealisti- 
schenrr Farbigkeit gewinnen diese Motive an aufdringli- 
cher Signalkraft. die zu der ansonsten an Naturnähe 
orientierten und im Ausdruck fast heiteren Farbigkeit 
kräftig kontrastiert. 
Aufmerksamkeit für die Gefahrenzone zwischen Tech- 
nik und Kriegsmaschinerie fordert Rauschenberg ganz 
drastisch. wenn er von dem Betrachter anstelle einer 
kontemplativen eine aktive Teilnahme verlangt wie vor 
wDry Cellk (1963). Er rnuß hier ganz nahe vor das tech- 
noide Werk treten und in ein Mikrophon sprechen. um 
die gesamte audiovisuelle Wirkungsbreite auszulösen 
und den realistischen Effektzu erleben. Daraufhin simu- 
liert ein an das Mikrophon gekoppelter Motor das 
Geräusch eines Kriegshubschraubers. der. als Sieb- 
druck auf Glas reproduziert, unmittelbar vor seinen 
Augen in der Luft zu schweben scheint. 
NocheinigeJahre späterhatsich Rauschenberg durch- 
aus positiv zur technologisch bestimmten Gegenwart 
geäußert undvoreinereinseitigenVerteufelungundfIie- 
henden Abscheu fast gewarnt: iiAtype of heresy is deve- 
loping whlch affirms that technological progress is a 
monster.thattherobotistheincarnationofdevil.Weare 
ashamedoftechnology.someareturningtheirbackson 
it. fleeing the technological presentß Gerade aber, um 
nicht aus der technologisch bestimmten Gegenwart zu 
entfliehen. wendete sich Rauschenberg der Technik zu 
und arbeitete u.a. mit dem Ingenieur B. Klüver zusam- 
men. Doch entgegen seiner ausgesprochenen Hoch- 
schätzung der Technik, die ihm auch neue künstleri- 
sche Horizonte eröffnete. sprechen seine Werke mit 
technischen Geräten oder Motiven deutliche Warnun- 
gen vor dem blinden Umgang mit ihr aus und machen 
auf ihre gefährlichen Eigenschaften aufmerksam. die 
sich nur allzuleicht hinter ihrer vordergründigen Nütz- 
lichkeit verbergen können. Daß hierin auch Rauschen- 
bergs Absicht liegt. hat er erst in einem späteren State- 
ment aus dem Jahre 1974l75 betont: wBy working 
together sharing information teohnology and art could 
beawayofawakeningtheconscienceofpeopletoavoid 
a crucial desasterß 
Schon ineinem seinerfrühesten Siebdrucke. in i-Glideru 
(1962). schürt er eindringlich das Bewußtsein für die 
sich einschleichende. Flaum und Zeit durchdringende. 
alles beherrschende Technik. Zwar ist sie ein Produkt 
des Menschen. droht aber übermächtig zu werden und 
ihn wiederum zum Mittel herahzusetzen: Dem Netz 
einer Spinne gleich. entwickelt sich in lGlideru ein 
Radarschirm von der oberen rechten Bildecke aus in 
das Bild hinein, von dem die kleinen Menschen gleich- 
sam eingefangen zu sein scheinen. - 
Die Themenwahl Rauschenbergs aus den Bereichen 
Technik. Krieg. Tagesereignisse und Naturfällt - ganz 
analog zu seinen Materialsammlungen - aus einem 
spontanen Erlebnisverhältnis zu markanten Ereignis- 
sen derAlltagswirklichkeit heraus. Dabei spiegeln seine 
Bilder - nicht nur die eigene - Betroffenheit. Begei- 
sterung und Anteilnahme insbesondere an den Ereig- 
nissen des modernen Fortschritts - ebenso aber auch 
eine tiefe Skepsis an deren möglichen zerstörerischen 
Folgen. Von hier aus beziehen sie einen tieferen und 
durchaus moralischen Gehalt: Indem sie nämlich den 
emotionalen Stimmungsbereich ansprechen und zu 
Bewußtsein bringen wollen. warnen die Bilder zugleich 
davor, das technologisch Machbare bedenkenlos zur 
modernen Handlungsmaxime zu erheben. 
Die jeweilige Größe und Form seiner Gegenstandsmo- 
tive fügt Rauschenberg den kompositionellen Bezügen 
eines Leinwandformates ein und konsistiert sie mit den 
Spuren der eigenen Lebendigkeit. mit freien aber 
nichtsdestoweniger gezielten Pinselstrichen. So ver- 
bindet er die gewissermaßen schon vollzogenen Hand- 
lungsablaufe. Situationen und Ereignisse, die in den 
Fotos. Siebdrucken und an anderen gesammelten 
Materialien festgehalten sind. mit den Farb- und Mach- 
Spuren seines Gestaltungsvorganges. Dadurch erhält 
das einzelne Bild nicht nur seine persönliche Signatur 
unddamitauchdenStellenwertdes0riginales.sondern 
bezeugt auch die aktive Anwesenheit der Künstlerexi- 
stenz in der Gegenwart und deren bewußte Anteil- 
nahme an ihr. wodurch die Bildaussage erst an Authen- 
tizität gewinnt. 
Neben seiner eigenen dokumentiert Rauschenberg die 
Existenz des Künstlers und der Kunst häufig durch 
Reproduktionen von Kunstwerken. die er als Bilder im 
Bilde in einen Collagezusammenhang einbringtÄ" Auch 
hier begegnen sich Vergangenheit und Gegenwart. 
allerdings In Form von Zitaten aus der Kunstgeschichte 
und der profanen Lebenswelt des Alltages. wie z. B. in 
i-Persimmonu (1964). Hier umrahmen eine amerikani- 
sche Straßenszene mit Coca-Cola-Reklame und Pas- 
santen, zu Reihen gestapelte Abfallfässer und eine 
übergroße Augenpupille die Reproduktion eines Bild- 
ausschnittes der rVenus bei der Toiletten des Rubens. 
Derironisch gemeinte Bildtitel undlast an Boshaitigkeit 
stoßende Bildwitz von zwei sich in einem Bilde begeg- 
nenden und zu gleicher Darstellungswürdigkeit ab- und 
aufgewerteten Motivbereichen kann nicht davon ablen- 
ken. daß Rauschenberg eine klare Verbindung zur 
kunsthisforischen Tradition herzustellen sucht. Denn 
das bestimmende Bildmotiv ist ja das als Meisterstück 
der internationalen Kunstgeschichte anerkannte Werk. 
dessen Thema auf die Sinnlichkeit seines voyeuristi- 
schert Betrachters abzielt. Über den Spiegel als einem 
raum- und hier auch zeitüberbrückenden Instrument 
visueller Erkenntnis treffen in nPersimmomi die auch in 
der Gegenwart geltenden. akzeptierten ästhetischen 
Normen der Tradition und das scheinbar Belanglose 
und einer entsprechenden Norm entbehrende Alltags- 
milieu aufeinander. Dennoch gewinnt auch dieses an 
Bedeutung und unverhüllter Aussagekraft. wenn ihm 
die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt wird, wie der 
Nacktheit der Venus N die ja schließlich auch ohne die 
Neugier des Betrachters völliger Bedeutungslosigkeit 
anheim fallen würde. 
Zwar konkurrieren in i-Persimmona zwei unterschiedli- 
che ästhetische und kulturelle Normen miteinander. 
denen zudem aufder einen Seite Beständigkeit. auf der 
anderen Flüchtigkeit anhaften. doch betreibt Rau- 
schenberg hier kein Abwägen auf einer Werteskala 
zugunsten der einen oder anderen Seite. Und er fällt 
auch kein Urteil über die Kunsttradition. die ihm vor 
allem durch Rubens und Veiazquez präsent ist (irTra- 
pezk. 1964; nTracem. 1964; wCrocusu. 1962; w-Break- 
through llr. 1965)." Vielmehr ließe sich i-Persimmonu 
als eine programmatische Vorstellung seiner eigenen 
Kunstauffassung verstehen. die sich an keinen vorge- 
gebenen Normen orientiert. sondern die jenseits alles 
Normativen sich an die Fersen der lebendigen Gegen- 
wart heftet und deren widersprüchlichste Phänomene 
geradezu als Stimulanzien aufgreift. um mit ihnen ein 
getreues und angemessenes Stimmungsbild der Ge- 
genwart zu zeichnen. 
Die Hüllenlosigkeit vergangener weiblicher Schönheit 
vor einem Spiegel bietet sich als aliegorische Figur 
förmlich an. um krasse und aussagefähige Gegensätze 
zu konstruieren. Als solche stehen sich in rCrocusii 
(1962) Allegorie und Wirklichkeit. Schönheit und Häß- 
lichkeit, Kunst und Technik gegenüber. Auch hier hat 
sich Rauschenberg des Siebdruckverfahrens bedient. 
die ausschließlich schwarze Druckfarbe dabei in unter- 
schiedlichen Sättigungsgraden venuendet und da- 
durch den Ausdrucksgehalt eindringlich erhöht. Wie- 
derum ist es ein Militärfahrzeug. das als technisches 
Produkt die Gegenwart vertritt. Das Kreuzzeichen an 
seinem Führerhaus hat Rauschenberg mit weißer 
Farbe auf dem kaum noch kenntlichen Werk des Veiaz- 
quez handschriftlich wiederholt - das Bild damit gera- 
dezu gebrandmarkt und die Stimmung unmittelbar 
bevorstehender drohender Vernichtung heraufbe- 
schworen. Dazu tragen die übergroßen schwarzen 
Insekten wesentlich bei.die alsAllusion aufdie bekann- 
ten Fliegen in niederländischen Stilleben des 17. Jahr- 
hunderts interpretiert werden könnten. Dort ist der 
Lebenshbhepunkt bereits überschritten und der unauf- 
haltsame Verfall schon programmiert. Hier ist es die 
erschreckendevision einermöglichenAusmerzungder 
kulturellen abendländischen Tradition und ihrer Werte 
durch den blind vernichtenden Einsatz militärisch 
genutzter Technologie. 
Der Visionäre Pessimismus. der den Betrachter vor 
wCrocusu befällt, bleibt in dieser Eindeutigkeit bei Rau- 
schenberg einmalig. Seiner Zielsetzung gemäß. den 
eigenen Beschäftigungen und Beobachtungen Aus- 
druck zu verleihen. muß denn auch ein entsprechend 
vielfältiges visuelles Angebot an Motiven folgen. Man- 
che von ihnen treten als ausdrucksvolle Spurenele- 
mente wiederholt auf. von denen die markantesten und 
hier interpretierten sich in wiTracerv (1964) wiederfin-
	        
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