ZUR GESCHICHTE DER SEIDENWEBEREI 50'
VON MORITZ DREGER-WIEN 50'
AS neue Werk Ottos von Falke über die Geschichte der
Seidenwebereiü gehört jedenfalls zu den be-
deutendsten Erscheinungen, die uns die letzten
Jahre zur Geschichte des Kunstgewerbes, ja der
Kunst überhaupt, gebracht haben: denn wir
wollen gleich als ein wesentliches Verdienst der
Arbeit hervorheben, daß sie ein besonderes, schein-
bar abseits liegendes Gebiet so treHlich in die all-
gemeine Entwicklung der Kunst einzureihen ver-
mochte.
Der Verfasser dieser Besprechung hat ja
selbst vor einem Jahrzehnte den Versuch gemacht, einen Überblick über die
Entfaltung der Weberei zu geben," und sein Hauptgedanke dabei war,
unsere damalige Kenntnis festzustellen, um so die Lücken unseres Wissens
zu erkennen, was eben nur beim Versuch eines Überblickes möglich ist;
doch konnte wohl auch einiges Neue zur Klärung beigetragen werden.
Inzwischen haben Migeon und andere Forscher ähnliche Versuche unter-
nommen. Gerade die zehn Jahre seit Erscheinen des erwähnten Werkes
haben aber eine Fülle neuer Tatsachen und Auffassungen zutage gefördert;
wir erwähnen nur die Forschungen in Vorderasien, um die sich unter
andern Sarre besondere Verdienste erworben hat, die Entdeckungen in
Turkestan, die Erschließung spanischer Textilschätze, unsere geänderte
Auffassung italienisch-mittelalterlicher und ostasiatischer Kunst sowie die
erweiterte Teilnahme der Orientalisten an den Fragen der Kunst überhaupt.
Schon die bloße Veröffentlichung des Berliner Textilwerkes, die der
frühere Direktor des Berliner Kunstgewerbemuseums, Julius Lessing, mit
ungewöhnlich großen Mitteln durchführen konnte, gab durch die zahlreichen,
meist naturgroßen und farbengenauen, Tafeln eine bis dahin nicht vorhandene
Unterlage zur Weiterarbeit. Falke begnügte sich aber nicht mit dem hier
gesammelten Materiale, auch nicht damit, daß er es genau nachprüfte
und die Darstellungen im einzelnen bisweilen richtigstellte, sondern er
brachte auf umfassenden Reisen, wie sie ein Berliner Museumsdirektor eben
unternehmen kann, noch eine gewaltige Menge wichtiger Beispiele zu-
sammen, die nun großenteils zum ersten Male durch seine Arbeit allgemeiner
bekannt werden.
Wie sehr sich die Anschauungen in den letzten zehn Jahren geändert
haben, kann man besonders daraus erkennen, daß Falke, dessen Arbeit
doch zugleich ein Text zu Lessings Veröffentlichung ist, mindestens bei der
5' Otto von Falke, „Kunstgeschichte der Seidenweberei" (Textwerk zu Julius Lessing "Gewebesammlung
des königlichen Kunstgewerbemuseurns zu Berlin"). Berlin, E. Wasmuth, xgig. 2 Bde.
"f „Künstlerische Entwicklung der Weberei und Stickerei" (Wien, k. k. Hoi- u. Staatsdruckerei. 1904).