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Volltext: Monatszeitschrift XVIII (1915 / Heft 1 und 2)

lierung, dem weit organischeren Aufbau des Kinderkörpers und der un- 
behinderten Gelenkigkeit der Extremitäten dem Wesen der Renaissance 
weit näher kommt als der entschieden eckigere und unbeholfenere Jesus- 
knabe von Kefermarkt. Und nun ist diese Neumünster-Madonna noch dazu 
aus dem spröderen Steinmaterial gehauen, trägt aber die sichere Datierung 
14g 3. Ein ebenso reifes Christuskind, das wir nach den neuesten Forschungen 
genau in dieselbe Zeit setzen müssen, trägt die Maria des Blaubeurer Hoch- 
altars, und den Höhepunkt dieser naturalistischen Richtung stellt uns endlich 
der ungemein lebendige, des Vollbesitzes ebenmäßiger Glieder sich freuende 
Knabe der sogenannten Kaisheimer Madonna im Kaiser Friedrich-Museum in 
Berlin dar, die in die allerersten Jahre des neuen Jahrhunderts fällt." Wie 
läßt sich solchen abgeklärten Erscheinungen gegenüber Ubells Behauptung 
aufrecht erhalten?! Um wie viel altertümlicher wirkt der Kefermarkter 
Jesusknabe als all die erwähnten Beispiele! 
Ubell sagt ferner: „Nicht zu übersehen sind die Renaissanceelemente in 
der Architektur der Verkündigung, die Anklänge an Dürers Marienleben und 
so weiter." Wie er seine Anschauungen stützt, bleibt dem Leser überlassen. 
Mit einfachen Behauptungen kann Ubell meine gegenteilige Ansicht, daß es 
sich um eine gotische Architektur handelt, nicht entkräften. Die Halle selbst 
mit ihren Rippengewölben, den Maßwerkfenstem und den Spitzbogen, die 
Basen und Kapitelle der Säulchen sind von charakteristischer gotischer 
Bildung. Die auf den Säulchen stehenden Figürchen, vermutlich ein Erbe 
des Meisters E. S., sind genau so 1482 an dem Grabstein Ulrich Aresingers 
von Erasmus Grasser nachzuweisen. Bleiben nur noch die Zwickelfüllungen 
und die Säulenschaftdekorationen, die aber ebenso gut am Ende des XV. 
wie zu Beginn des XVI. Jahrhunderts vorkommen. 
Was Ubell etwas schleierhaft mit „Anklängen an Dürers Marienleben" 
meint, blieb mir ganz verschlossen, um so mehr, als er auch hier wieder 
keinen näheren Hinweis gibt. Jedenfalls konnte ich, trotz redlichstem 
Bemühen, wie es schon die Bedeutung eines so wichtigen Werkes wie der 
Kefermarkter Altar bedingt, und trotz wiederholter Durchsicht sämtlicher 
Holzschnitte Dürers auch nicht die allergeringste Spur eines „Anklangs" 
finden. Im Gegenteil: Die Bildwirkung, die kompositionellen Anordnungen, 
das Verhältnis von Figur und Raum, die architektonischen Haupt- und 
Einzelformen des Marienlebens, kurzum alles, aber auch alles, ist himmelweit 
von der Art der Kefermarkter Reliefs entfernt. Hier mittelalterlich enge 
Bedrängnis, zwangvolle Gruppierung, Mangel an Tiefenwirkung, dort Luft, 
Licht, Weiträumigkeit, behagliche Breite, glaubhafte Wirklichkeitsversuche, 
in Inhalt und Form eine völlig andere Welt. Was bleibt da von„Anklängen" 
noch bestehen? 
Zur Not hätte Ubell bei der mit Spitzblättern umkleideten Säule noch 
das Blatt „Johannes und die 7 Leuchter" (B. 62) in Dürers „Offenbarung" 
' Abbildung der Blaubeurer und Kaisheimer Madonna bei Vöge, DerMeister des Blaubeurer Hochaltars 
und seine Madonnen, in den „Monatsheften für Kunstwissenschan", II (1909). S. n.
	        
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