Schnitzaltäre üblich. Hans Wild schuf aber daraus die unerhörte, unentwirrbar
scheinende Pracht des Volkamer-Fensters, das maßgebend ist für seine reife
Art; ein sinnverwirrendes und doch so wohlgeordnetes System von Figuren
und Szenen, durchwachsen von Astgeschlinge und übertürmt von phan-
tastischen Baldachinbauten und Fialenwerk, das sich märchenhaft hinaufbaut
in die höchsten Spitzen der ungeheuren schlanken Felder. Damit ist auch
sein Verhältnis zur bildmäßigen Perspektive gegeben. Es entspricht etwa
dem des Meisters der heiligen Sippe. Er geht der Versuchung, Architektur-
linien oder Landschaft zu Illusionismen zu mißbrauchen, aus dem Wege und
verwertet die Rundung des Körperlichen in dem gleichen Sinn wie das Ver-
ästelte seines Ornamentes: um eine bestimmte knappe Raumschicht gleich-
mäßig durch das ganze Fenster auszubreiten und damit zwar körperhaft,
aber in dem Stil einer Reliefschicht zu wirken. Die Glut der Farben tut ein
Übriges, dem Gegenständlichen entgegenzuwirken. Die beispiellose Kraft
und das Durchdringende in der Erscheinung dieser Fenster beruht wohl
darauf, daß Entwurf und Ausführung in einer Hand lagen und für einander
arbeiteten.
Im Chor der Marienkirche von Hanau finden sich Fenster, die eine
Pietä mit einem lanzenhaltenden Ritter darstellen und künstlerisch wie
kunsthistorisch von höchstem Range sind. Merkwürdig ist die Agraffe mit
einem veritablen und sehr stattlichen Reiherbusch, die der Ritter an seiner
Kappe trägt. Er entstammt zweifellos der Werkstatt des Hausbuch-
meisters, dessen Scheiben die oberrheinischen Traditionen von Hans Wild,
Schongauer und E. S. zusammenfassen. Was aber seinem Stil die Größe
und malerische Gewalt verleiht, geht hier vielleicht auf die Rückwirkung von
Mathias Grünewald zurück. Denn von ihm stammt der Karton, und wer
weiß wie viel von der Ausführung, der ornamentgekrönten Pieta. Entstanden
zwischen 1505 und 1508, vor dem Beginn des Isenheimer Altars, bereichert
dieses Fenster unser karges Wissen von Grünewald mit einem Stück von
erstem Rang. Noch stärker als in Isenheim drückt sich das Gotische in der
Gesinnung des großen Malers aus. Man braucht dieses selbst im Deutschland
der Spätgotik einzig dastehende Fenster nur zu betrachten, um den Eindruck
des unbedingt Genialen zu erhalten; von einem Genie des Zuschnittes, wie
es jenseits der Alpen nur bei Michelangelo, diesseits nur bei Grünewald zu
finden ist. Das Ungewöhnliche ist nur, daß man das dominierende Groß-
format der Gestalten und das Dämonische des tragischen Ausdrucks hier in
einem Fenster suchen muß, an einem Orte, an dem man - trotz der Nähe
Aschaffenburgs und Frankfurts - kaum etwas so Außerordentliches ver-
muten würde. Der ungeheure Ausdruck von Qual und Schmerz in dieser
Darstellung bedeutet denn wohl auch den Höhepunkt dessen, was das
Glasfenster an seelisch Gehaltvollem zu leisten vermochte. Bedenkt man
aber, daß schon den durchscheinenden Farben des Glases ein hohes Maß
des Erregenden und Suggestiven innewohnt und daß der Ort, in dem sie
sitzen, der Feierlichkeit und Steigerung aller Gefühle zum mindesten Vor-