Abb. 20. Holzfigur
der heiligen Dorothea im Erzherzog-
Rainer-Museum in Brilnn
wähnt, berührt sich die Kunst des Sterzinger
Bildhauers eng mit jener des Meisters des Hoch-
altars von Rabendenf Was beide vor allem
gemein haben, ist der Zug zum Großen, Pathe-
tischen,in den sich bei dem Rabendener etwas
Müdes, Schwermütig-Elegisches einschleicht,
und das haftet mehr oder Weniger der ganzen
Gruppe um ihn an. Der Sterzinger Meister da-
gegen kennt diese sentimentalen Neigungen
nicht. Seine Figuren sind ein gesünderes, kräf-
tigeres Geschlecht, dem ein gut Teil von der
Urwüchsigkeit des Alpenvolkes innewohnt. Der
alte Geist Michael Pachers und seiner Leute
ist noch wach, nur die äußere Form hat sich
gewandelt.
Der Einfluß des Sterzinger Meisters setzt
sich auch nördlich des Brenners, das Inntal ent-
lang, fort und verklingt fast ganz genau mit der
damaligen tirolisch-bayerischen Grenze, zwi-
schen Jenbach und Kufstein, jenseits welcher
unmittelbar der Kreis des Meisters von Raben-
den beginnt. Auf tirolischem Boden macht sich
also deutlich der weithingreifende Einfluß der
Diözesaneinteilung und damit der Neustift-
Brixener Kunstzusammenhänge geltend, wäh-
rend sich - wie ich dies andernorts darlegte -
die Sphäre des Rabendener Meisters, die sich im
wesentlichen mit dem alten Chiemgau deckt,"
als eine Lokalschule darstellt, von der sich auch
nicht die dünnsten Fäden zur Diözesanhaupt-
stadt Salzburg oder dem von dieser abhängigen
Suffragan-Bistumssitze Chiemsee hinspinnen
und die sich auch streng von den andern an-
grenzenden Schulen scheidet. Die Abhängigkeit
der Chiemgau-Gruppe von Tirol tritt durch diese
örtliche Abgrenzung deutlich zutage, und in
diesem Zusammenhang gewinnen einige Holz-
Hguren an Bedeutung, die als Bindeglieder zwischen der Köldererschen Werk-
statt und dem Kreise des Meisters von Rabenden anzusprechen sind. Als die
charakteristischesten Stücke dieser Art greife ich eine heilige Barbara und eine
heilige Dorothea im Erzherzog-Rainer-Museum in Brünn (Abb. Ig und 20),
ßPhilipp Maria Halm, „DerMeister von Rabenden und die Holzplastik des Chiemgaues" in dem Jahrbuch
der Preußischen Kunstsammlungen, Band XXXII (1911), S. 59.
"Ebenda S. 83.