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INTERNATIONALE SAMMLER-ZEITUNG
Nr. 13
geschraubt. Die Aufnahmsfähigkeit der Sinne wird
eingeschränkt, die Maßstäbe werden verändert und
in steter Wechselwirkung wird der Nährboden der
Kunst unfruchtbar gemacht. Die große Schar der
Mitläufer und der Auchkünstler fühlt sich in dieser
Lage wohl, weil sie es ihr möglich macht, den an
sie gestellten, immer bescheidener werdenden Ansprü
chen gerecht zu werden. Der Kunsthistoriker ge
wöhnt sich daran, Bilder danach zu beurteilen, was
von ihnen in der photographischen Reproduktion
übrigblieb. Der Künstler (der schwächliche Künstler)
gewöhnt sich daran, die in der photographischen
Reproduktion vor allem übrigbleibenden Aeußerlich-
keiten, die Mache, die Methode, die formalen Mätz
chen, bestenfalls das Rezepthafte der Transposition
des Gegenstandes aus dem Naturgebundenen ins
Künstlerische zu sehen und nachzuahmen. Das Pu
blikum glaubt gerne dem Historiker, dem Kritiker
und besonders gerne dem verwässernden Künstler,
weil es selig ist, die Verantwortung dem Fachmann
überlassen zu können und das bisher Unverstandene
auf die Ebene der allgemeinen Begreiflichkeit herab
gedrückt zu sehen. So sinkt das Niveau immer tiefer
und man muß schon in die Museen gehen, um wie
der einmal zu sehen, was ein Kunstwerk ist. Der
Fluch der Technik erweist sich auch auf diesem
Gebiet als wirksam. Statt dankbar und vorsichtig
benütztes Hilfsmittel zu bleiben, wird sie zum Zweck
und nimmt den Platz ein, den sie zu befestigen be
rufen gewesen wäre.
Sollen also Maler Bilder sehen? Ja, Bilder sol
len sie sehen, aber nicht Abbilder von Bildern, nicht
Nachbilder, Unbilder, nicht technisch vollkommene
Photographien der Wirklichkeit, sondern wirklich
vollkommene Werke künstlerischer Ueberwirklichkeit.
Maler sollen möglichst nicht photographieren, die
papierenen Bilder in Kunstbüchern eben nur als
Papier sehen, möglichst nicht ins Kino gehen, mög
lichst nicht in Kunstzeitschriften blättern, denn auch
sie können, und wären es die Stärksten, mit der
Zeit (mit ihrer Zeit) kritiklos und unempfindlich
werden.
Die richtigen, die wirklichen Maler, meint Paul
Fechter, gehen sowieso nicht in die Museen, oder
höchstens, um ein eigenes, neu angekauftes Bild zu
sehen. Die Museen haben nicht immer die glückliche
Hand, die Bilder der richtigen, der wirklichen Ma
ler neu anzukaufen. Sie hätten aber dieses Mittel
nicht einmal nötig, die wirklich richtigen Maler an
zulocken. Diese fliehen vor den Scheußlichkeiten der
Zeit, — erlaubt es ihre Zeit, — ohnehin am liebsten
ins Museum, wo die richtig wirklichen Bilder hän
gen, um sich von ihnen beschämen, belehren, er
ziehen, trösten und aufrichten zu lassen.
Mellon und Lionel Rothschild,
Fast zur gleichen Zeit sind zwei große vielbe
kannte Sammler gestorben, von denen allerdings jeder
einen eigenen Typ repräsentierte: Andrew William
M e 11 o n und Lord Lionel Walter Rothschild.
Andrew William Mel low, der langjährige
Schatzsekretär der Vereinigten Staaten von Amerika,
einer der reichsten Männer der Erde, hatte von sei
nen Landsleuten das eine voraus, daß er genau wußte,
wofür sie wenig Interesse hatten, z. B. Madonnen, und
so setzte da seine Sammlertätigkeit intensiv ein.
Aber ehe er Bilder zu sammeln anfing, wollte er sich
das dekorative Milieu für sie schaffen und so erwarb
er eine Serie von burgundischen Teppichen des 14.
Jahrhunderts mit der seltsamen Mystik der Darstel
lungen der Einhorn-Legende etc. Und als er diese
Teppiche beisammen hatte, diese Vorboten der Epoche
des Jan van Eyck, traf auch schon das erste Bild
von van Eyck im Palais Mellons ein, „Die Verklindi-
digung“, die er der von „Eremitage“ in Leningrad ge
kauft hat. Wie viel er dafür gezahlt hat, ist nicht be
kannt geworden, aber man weiß, daß viele Millionen
Dollar in Gold von Mellon nach der russischen Metro
pole gewandert sind, weil er sich noch andere wich
tige Werke der Galerie sichern wolle.
Von Jan van Eyck und dessen Kreise kam Mel
Ion zu den Holländern des 17. Jahrhunderts und zu
dien Italienern. Er erstand Rembrandts „Junge
Magd mit dem Besen“, die Katharina II. aus der Pari
ser Sammlung C r o z a t für die Eremitage gekauft
hatte, eine Anzahl prächtiger Bilder von Frans Hals,
Botticellis „Anbetung“ und zahlreiche andere
Kostbarkeiten der Eremitage, Als eines Tages in
der USA, eine Mellon-Affäre aufflatterte und man sich
um die Kunstkäufe des ehemaligen Schatzsekretärs
zu interessieren anhub, beschwichtigte Mellon die
aufgeregten Gemüter durch die Erklärung, daß er
alle seine Kunstschätze dem Staate vermachen werde.
Er scheint Wort gehalten zu haben und man
wird wohl bald ein Bild über den Umfang der
Sammlung haben, die Mellon zusammengebracht hat
und die wahrscheinlich in einem eigenen Museum
aufgestellt werden wird.
Lord Lionel Walter Rothschild, das Ober
haupt der englischen Rothschilds, ist öpjährig, auf
seinem Landsitz Tringpark, Llertfordsshire, gestorben.
Anders, als sein Vater, der erste Baron Rothschild,
ein intimer Freund Eduard VII. hat er sich nicht
allzuviel mit Bankgeschäften befaßt. Eine Gelehr
tennatur, spezialisierte er sich auf die Erforschungen
von Schmetterlingen und Flöhen.
Mehr als vier Millionen Schmetterlinge hat er
gesammelt, an die 300.000 Vogelbälge und - 20.000
Flöhe. Ja, so sonderbar es klingen mag, Flöhe bilde
ten einen bedeutenden Teil seiner Sammlungen und
nahmen einen großen Teil seiner Arbeitszeit in An
spruch. Sein Bruder Charles hatte den Grundstock
zu dieser Sammlung gelegt, die eigentlich einer
Marotte entsprungen war und erst im Verlaufe von
50 Jahren wissenschaftliche und auch medizinische
Bedeutung erhielt. Rothschild sammelte die Quäl
geister, von denen es soviel e verschiedene Arten
gibt, daß er eine mehrbändige Enzvdopaedia über
sie schreiben könnte, nicht zum Vergnügen, sondern
im Dienste der medizinischen Forschung. Tropen
ärzte sandten ihm in Blechhülsen Exemplare der in
ihren Gegenden gefundenen Blutsauger, und Roth
schild bestimmte die Art und schilderte in kurzen
Worten ihre Gefährlichkeit als Krankheitsüberträger.
Nur gewisse Arten von diesen Springern sind näm
lich gefährlich. Die meisten sind relativ harmlos,
manche sind winzig klein, kleiner noch als Stecknadel
köpfe, andere so groß wie Heuschrecken. Die mei
sten rötlich braun, nur wenige grün oder hellgelb.
In Dutzenden Vitrinen bewahrte Lord Rothschild
diese langbeinigen Insekten, die er scherzweise „Kän
guruhs in Taschenformat“ nannte, auf. Auf Karton
auf gespießt, gab es da schier endlose Reihen von