ward uns auch hier. Und auf der neuesten Bühne sahen wir die neueste Vollendung
aller Illusionswunder. Wir schritten auf schwankem Brett über das versenkbare Orchester,
das nach Reinhardts Vorbild auch als eine Vorbühne benutzt werden kann, und standen
nun auf der Bühne vor der mächtigen 26 Meter hohen weißen Wand des Kuppelhorizontes.
Er ist, wie schon erwähnt, gemauert, nicht wie es die ersten Versuche waren, aus Leinen
gespannt und mit einem Segel überwallt. Über die lichte Fläche spielen durch Reflexe die
Farben der Dämmerung, des Sonnenauf- und -Untergangs, Wolken jagen und die Nacht
mit Sternen sinkt. Die Wunder des Lichtes gehen von hängenden elektrischen Lichtkästen
aus, angeordnet oberhalb des Vorhangausschnittes. Sie werfen aber ihren Schein nicht
direkt, vielmehr bestrahlen sie variable farbige Seidenbahnen (blau für Dämmerung, rot
für Sonnenuntergang zum Beispiel], und von ihnen fallt dann die Koloristik der Tageszeiten
und Wetterphänomene auf den Himmel. Die Handhabung der leicht durch Seilzug aus-
wechselbaren auf- und abrollbaren Seidenbahnen die Ein- und Ausschaltung des Lichtes,
die Abblendung durch den „Schattenwerfer" (für Wolkenbildung), das alles versieht der
optische Kapellmeister vor seiner Marmor-Maschinerie mit ihren Tastern, Hebeln und
Registern.
Er sitzt hoch über den Brettern, auf denen sich die menschlichen Geschicke vollziehen,
in einem frei schwebenden Gehäus des riesigen, in endlose Höhe aufsteigenden Bühnen-
schachtes zwischen Laufstegen und Eisenrippen. Eine Wunderwelt ist's und er mag sich
vorkommen wie der Doktor Marianus „in der höchsten, reinlichsten Zelle" und wenn er
auf seiner Klaviatur die Sinfonie der Himmelsfarben rauschend abspielt, kann er denken:
„Tönend wird für Geistesohren schon der neue Tag geboren."
1b I!
1:
Bei Schulte sieht man kriegerische Gegenwartsbilder von W. Schreuer und Georg
Koch, Szenen aus Flandern, ostpreußische Dorfruinen, Schützengrabensituationen. Und
diese Bilder sind erschreckend, nicht wegen des Stoffes, sondern in ihrem fast behaglichen
W oder noch richtiger mit dem BismarckschenWort ausgedrückt - „wurstigen" Gleichmut.
Illustrationen, Genrebeispiele scheinen das, von keinem Schauer durchzuckt. Und man
kann diese Maler wirklich mit dem Wort des jetzt in Moskau gefangenen Meier-Gräfe
verwerfen: „Wehe dern Künstler, der jetzt nichts erlebt."
Es stimmt nachdenklich, daß ein Phantasiegemälde vom vergangenen Schlachtfeld
im Vergleich zu diesen, trotz eigener Anschauung blassen und Hauen Schildereien wirkungs-
voller sich darstellt. Das ist „18r2" von Walter Miehe. Gewiß kein Werk, das in unserer
Kunstwelt wurzelt, aber von dem sich doch reden läßt. In einer Ausschnittepisode des
französischen Rückzuges sollen fruchtbar und furchtbar zugleich die Greuel des weißen Todes
auf den russischen Schneefeldem zusammengeballt werden.
Der Maler erreicht das weniger durch landschaftliche Mittel - was künstlerischer
wäre - als wereschaginhaft durch die effektvolle Staifage. Ihm gelingt nicht die Spiegelung
einer verschlingenden weißen Öde, einer starren Wüste von Eis. Seine Leinwand scheint
vielmehr trotz ihrer Ausdehnung eng und kurz und flach im Horizont. Die Figuren müssen
allein das Klima der Begebenheit darstellen. Und dazu gibt das Motiv jener Vers: „Mit
Roß und Mann und Wagen hat sie der Herr geschlagen." Miehe stellt in die Mitte einen
Karren mit Streuschütte, fahle Verwundete daraufgepackt, daraus aufragend eine
gespenstisch schlotternde Schattengestalt, über deren Lumpeneinmummelung unheimlich
grotesk ein mächtiger zweispitziger Generalshut mit großer Silhouette im kalten Lichte
schwankt. Und aus dem Karren hängen heraus nach hinten in blutige Lappenfetzen
gewickelte Fülle. Nebenher schleppen sich Soldaten zu Fuß. Und das ist nun das Beste
und auch das Stimmunggebende an dem Bild, der eigentümliche Bewegungsrhythmus. Die
Pferde vor dem Wagen haben ihn und die Menschen, und er vermittelt den Gefühlseindruck
gehetzter und dabei zum letzten angespannter Geschöpfe: Todesnot und krampfhafter
Lebenstrieb.
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