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Volltext: Monatszeitschrift XIX (1916 / Heft 1 und 2)

den Kern und Mittelpunkt aller Kunst und im intensiven Aktstudium den sichersten Weg 
zu einer gesunden Stilbildung. Ein solches Bekenntnis ÃŒberrascht bei einem Phantasie- 
kÃŒnstler, aber offenbar war es gerade der Gestaltenreichtum seiner Phantasie, der ihn nach 
dem festesten Halte suchen und diesen im hingebenden Naturstudium, im tiefen, kÃŒnst- 
lerischen Erfassen der Menschengestalt finden ließ. So begleitet sein ganzes Schaffen ein 
unermÃŒdliches Aktzeichnen, und seine zu wirklichen Kunstwerken ihrer Art ausgefÃŒhrten 
farbigen Akte gehören seit Jahrzehnten zu den bekannten Kostbarkeiten der modernen 
Graphik. 
Die veröffentlichten BlÀtter stellen eine Auslese dar, der man anmerkt, daß sie der 
KÃŒnstler unter den schönsten, reifsten und aufschlußreichsten hinsichtlich der Formen- 
und Beleuchtungsprobleme, der Motive, der Zwecke, der Technik und der verschiedenen 
Grade der DurchfÃŒhrung getroffen hat. Zumeist sind es Vorarbeiten fÃŒr ausgefÃŒhrte oder 
geplante Werke des letzten Jahrzehnts; der Technik nach schwarze oder farbige Kreide- 
zeichnungen auf graugrÃŒnem oder rötlichem Tonpapier mit weißen, gelblichen oder 
blÀulichen Lichtern in Pastell oder Tempera gehöht, in den Schatten gewischt, bald 
zeichnerisch, bald malerisch gehalten. Ganz in Pastell ist nur ein wundervoller, impres- 
sionistischer Akt einer ruhenden Frau. Es ÃŒberwiegen die weiblichen Akte (13 Nummern) 
nach feingegliederten Modellen, liegend, sitzend, stehend, in einfachen oder komplizierten 
Stellungen, in den verschiedensten Ansichten, viele in der natÃŒrlichen Anmut ihrer 
Bewegungen und in der Reinheit der Formen wie Wesen einer idealen Menschheit wirkend. 
Unter den vier BlÀtter mÀnnlicher Akte ist am bedeutendsten der eines athletisch durch- 
gebildeten Mannes in schreitender, weitausgreifender Bewegung, in Ganzfigur und RÃŒcken- 
ansieht, einer der schönsten MÀnnerakte, die je gezeichnet worden sind. Auf drei weiteren 
BlÀtternerscheinen vier prachtvolle weibliche Gewandstudien, die einen mitreichen, eckigen 
Falten, Vorarbeiten fÃŒr eine farbige Marmorstatue, die anderen mit gerippten Falten fÃŒr 
zwei Figuren des Leipziger UniversitÀts-Aulabildes. 
Die Nachbildungen als solche sind eine interessante Höchstleistung der modernen 
Reproduktionskunst. Die ansehnliche Originalgröße von dreiviertel Meter LÀnge ist bei- 
behalten, das gleiche Tonpapier, wie das der Originale, verwendet, und in vereinigtem 
Farben-, Licht- und Steindruck unter jahrelanger Aufsicht und Verbesserung von seiten 
des KÃŒnstlers eine vollkommene Treue bis in die letzten Feinheiten des Striches und der 
Farbentöne erreicht. Selbst der Kenner wÌrde MÌhe haben, die Wiedergabe vom Original 
zu unterscheiden; daher hat der KÃŒnstler jedes Blatt der Reproduktionen als solche 
bezeichnet, um Mißbrauch vorzubeugen. So vermitteln diese Wiedergaben restlos die groß- 
zÌgige, stark persönliche Naturauffassung Klingers und die Kraft und Pracht und meister- 
hafte Sicherheit seiner Zeichenkunst. 
Einen besonderen Schmuck der schönen Veröffentlichung bildenzwei Original- 
radierungen, die nur fÃŒr diesen Zweck geschaffen wurden. Die eine ist dem Titelblatte 
eingedruckt und hÀlt sich als FlÀchenschmuck, in Verbindung mit der Titelschrift, in den 
Grenzen einer schwungvollen Umrißzeichnung. Dargestellt ist ein nacktes MÀdchen, am 
Strande stehend, in Seitenansicht, und die HÀnde an die knospende Brust drÌckend. 
Strand und Horizont sind nur mit ein paar charakteristischen Linien angedeutet. Das andere 
Blatt "Meereszug" bildet die Beilage einer Vorzugsausgabe. Es gehört zu den reizvollsten 
Radierungen des Meisters aus den letzten ]ahren und stellt eine "Schaumgeborene" 
dar, die sich reckt im WohlgefÌhle ihrer Jugend und Schönheit. Darob Staunen und 
Bewunderung in den hinter einem Wellenkamme aufgereihten Köpfen alter und junger 
urweltlicher Meeresmenschen. Das Ganze ein echtes Werk Klingerscher Phantasie, eine 
Verherrlichung der Schönheit des Weibes, des Meeres, der Natur, zeitlos, taufrisch in der 
Erfindung und höchst wirkungsvoll in seiner aus Radierung und Aquatintatönen gemischten 
Technik. 
Also viel Köstliches enthÀlt dieses ideale Skizzenbuch, das als Aktpublikation in erster 
Linie fachkÃŒnstlerischen Interessen dient, aber durch seine Originalbeigaben auch den
	        
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