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lang durchgearbeiteter Doktrin entsprungenen Klassizismus, der das ver-
gangene Jahrhundert einleitete und der als eine stete, bald stärker, bald
schwächer zur Geltung kommende Komponente aller Kunstbetätigung
betrachtet werden rnuß.
ZUR GESCHICHTE DES EISENGITTERS Sir
VON PAUL F. SCHMIDT-OFFENBACH A. M. 5t-
ISEN und Glas, die beiden neuesten Baumittel,
haben mancherlei Verwandtes in ihrer kunstge-
Kunstform verlief beinahe entgegengesetzt; abstei-
gend die der Glasmalerei, späte Entfaltung beim
' Gitter. Aber in ihrem tektonischen Verhältnis sind
i sie einander gleichgeordnet gewesen. Die großen
Schöpfungen des Schmiedeeisens sind, wie die
monumentalen Glasfenster, nur in ihrer ursprüng-
lichen Gebundenheit, als Einfügmg in den ihnen
bestimmten Bau, wahrhaft zu verstehen und zu genießen.
Aber die Technik des Schmiedeeisens bedingte es, daß am Anfang der
Entwicklung, in der ausgehenden Gotik des XV. Jahrhunderts (denn frühere
Epochen kommen für die künstlerische Bearbeitung kaum in Frage oder
schalten aus Mangel an erhaltenen Beispielen aus), die Formung des Gitters
einem andern Gesetz unterliegt als die Baukunst. Die Architektur bietet
allenthalben das Bild einer Auflockerung der Massen und Vielfältigkeit der
malerischen Motive; das Gitter im Gegenteil: gedrungenes Zusammen-
schließen zu unzerstörbar festen Stabnetzen, deren sparsamer Schmuck
sich nur selten die Gestalt von der Stein- und Holzarchitektur erborgt. Schon
hier erweist sich der Charakter des Eisens in seiner spröden Selbständigkeit
gegenüber den Ornamenten des Kunstgewerbes. Mit der Absicht unzerstör-
baren Verschlusses machte man noch bitteren Ernst; die Natur der unge-
heuren Donjons aus der Zeit des elften Ludwig ist auch in diesen Gittern,
die ihre Ahnen in den Fallgattern der Burgen zu haben scheinen.
Eine Geschmacksänderung schärfster Art erschuf die zarten Schnörkel-
gitter des XVI. Jahrhunderts. Der Bruch mit der Tradition ist so schroff,
daß er psychologisch als unlösbares Rätsel erscheint. Denn nicht die ein-
brechenden italienischen Formen gestalteten das Gitter um, sondern die
Arbeitsmethode des deutschen Handwerks. An die Stelle der wuchtigen
vierkantigen Stange trat der dünne Rundstab, dessen leichte Biegbarkeit
zu einem Linienspiele von reinstem Kalligraphengeschmack verwendet
wurde. Oder hat sie dazu verführt? Tatsache ist, daß das kraftliebende
XVI. Jahrhundert in dem Handwerk, das die größte Körperkraft erforderte,
nur von zierlichen Durchsteckarbeiten und kalligraphischen Mustern wissen