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Volltext: Monatszeitschrift XIX (1916 / Heft 5, 6 und 7)

Das sind jedoch Einzelheiten; was aber die Formensprache und Farben- 
gebung in der Hauptsache betrifft, darf man wohl die herrlichen Wand- 
bespannungen zum Vergleiche heranziehen, die in den Jahren 1811: und 
1812 von dem Hause Bissardon, Bony 8x Cie. in Lyon nach den Ent- 
würfen eines Teilhabers dieser Unternehmung und eines der hervorragend- 
sten Zeichner jener Zeit, Jean Francois Bony, ausgeführt wurden. Diese 
Bespannungen, zu denen auch entsprechende Möbelüberzüge gehören, 
waren für den kleinen Empfangsraum der Kaiserin Marie Luise in Versailles 
bestimmt, kamen aber wie die meisten damals für dieses Schloß in Auftrag 
gegebenen Textilarbeiten nie wirklich in Gebrauch, sondern ruhten bis 
in die letzten Jahre hinein in den Speichern des „Mobilier National" (siehe 
Abb. 5).": Das Haus Bissardon, Bony 8: Cie. hatte, beiläufig bemerkt, für 
diese Arbeiten über 25.000 Franken erhalten. 
Wir konnten diese Stücke für Versailles jetzt selbstverständlich nicht 
besichtigen, um sie mit den in Wien neu aufgetauchten aus frischer 
Erinnerung zu vergleichen; soweit uns aber die farbigen Abbildungen 
und Beschreibungen bei Dumonthier erkennen lassen, handelt es sich auch 
bei den Arbeiten des Mobilier National um farbige Stickereien, die mindestens 
in verwandter Weise (in Seide, Chenille und Schniirchen, mit Verwendung 
von etwas Gold) ausgeführt sind; auch können wir einen ähnlichen Reichtum 
und eine ähnliche Verteilung der Farben bemerken, so zum Beispiel in 
den schillernden Akanthusranken. Ebenso bieten die Formen der Vasen, 
die Blumensträuße und Vögel sowie die merkwürdig offen gehaltenen 
Palmetten so viele Ähnlichkeiten dar, daß man wohl schon auf mehr als 
auf eine bloß allgemeine Zusammengehörigkeit durch die Zeit schließen 
möchte. Auf einige Jahre früher oder später kommt es dabei natürlich 
nicht an, besonders nicht für die Entwürfe selbst. (Nach unserer rein 
persönlichen Empfindung könnten die jetzt in Wien ausgestellten Stücke 
dem Konsulate näherliegen.) 
Jedenfalls widerspricht die ganze Erscheinung der nun in Wien aus- 
gestellten Werke keineswegs der Familienüberlieferung der heutigen 
gräflichen Besitzer, einer Überlieferung, die auch urkundlich gesichert sein 
soll, daß es sich nämlich um eine Schenkung Napoleons I. handle. Wir 
haben ja gesehen, daß die bloße Betrachtung des Werkes schon in den Kreis 
der für Napoleons l-Iof bestimmten Schöpfungen hinweist. Wir haben aber 
auch bereits erwähnt, daß eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Werken 
jener unruhigen und raschlebigen Zeit nie zu der ursprünglich in Aussicht 
genommenen Verwendung gelangt ist. Und wer kann heute nachweisen, 
welche Launen hoher Besteller oder Bestellerinnen in dem einen oder 
anderen Augenblicke mitsprachen, bei der Bestellung oder Übernahme? Oder 
wer vermag heute zu entscheiden, ob in einem bestimmten Augenblicke 
eine Schenkung nicht politisch klüger erschien als die augenblickliche 
Befriedigung eines eigenen Wunsches? 
x Dumumhier, a. a. 0., Seite rg und 29, Tafel 20 bis 22.
	        
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