große Komposition, mögen die Kongreßgäste noch gesehen haben. Aber
die fertige Tafel, die allem Anschcine nach dem ungarischen Hofe zugedacht
war und für die man vielleicht schon einen Ehrenplatz auf der Ofener
Burg reserviert hatte, bekamen weder Wladislaw noch Ludwig jemals
zu Gesicht. Der Meister hatte begreiflicherweise besondere Sorgfalt auf
ihre Ausführung verwendet und ein gutes Stück Zeit dazu gebraucht. Als
sie endlich vollendet auf seiner Staffelei stand, waren am politischen Horizont
so große Veränderungen vor sich gegangen, daß der Kaiser füglich darauf
verzichten konnte, das Bild seiner ursprünglichen Bestimmung zuzuführen.
Im März 1516 war nämlich Wladislaw II. gestorben und die ungarische
Nationalpartei, die schon vor dem Kongreß dem Habsburgischen Einiiuß
entgegengearbeitet hatte, bemächtigte sich nun sofort der Person des minder-
jährigen Königs und bekämpfte mit aller Macht die Ansprüche des Kaisers
auf die Führung der Vormundschaft, zu welcher er nach dem Wunsche des
sterbenden Wladislaw gemeinsam mit König Sigismund berufen war. Es
wäre unpolitisch gewesen, die Ungarn durch die Übersendung des Strigel-
schen Gemäldes, das so augenfällig auf die nahe Verbindung Ludwigs mit
dem Hause Habsburg hinwies, noch mehr aufzubringen, und so blieb das
Bild in des Meisters Händen, urn einige Jahre darauf, wie wir noch hören
werden, in Cuspinian einen neuen Besitzer zu finden.
Wenn wir uns nun fragen, wann Strigel-von den später hinzugesetzten
Überschriften über den Köpfen und der heiligen Sippe auf der Rückseite
abgesehen - den letzten Pinselstrich an dem Gruppenporträt getan hat, so
steht uns da ein sehr gutes, bisher nicht genügend gewürdigtes Kriterium für
die annähernd genaue Bestimmung dieses Zeitpunktes zur Verfügung. Es ist
der Kranz auf dem Haupte Erzherzog Ferdinands. So richtig im allgemeinen
die Bemerkung Glücks war, daß die Kränze in den Haaren Ludwigs und
Ferdinands auf den Zusammenhang unseres Gemäldes mit der Doppelhochzeit
vom Juli 1515 hindeuten, so verfehlt wäre es doch, daraus auf die Vollendung
des Werkes in dem genannten Jahre schließen zu wollen. Vielmehr beweist
gerade die Tatsache, daß außer Ludwig auch Erzherzog Ferdinand mit
dem Kranz geschmückt ist, daß das Bild erst nach 1515 fertig geworden sein
kann. Wußte doch bis Ende März 1516 noch niemand, wer Ludwigs
Schwester, die Prinzessin Anna von Ungarn, heiraten würde: der Kaiser,
Erzherzog Karl oder Erzherzog Ferdinand. Denn bekanntlich war am 22. Juli
1515 im Stephansdom zu Wien König Ludwig mit der Erzherzogin Maria,
mit der zwölfjährigen Prinzessin Anna aber - in Abwesenheit seiner
Enkel - der alte Kaiser selbst verlobt worden, der sich damals verpiiichten
L. von Baldass scheint mir zu irren, wenn er in seinen sonst so vortrefflichen Ausführungen über „Die Bildnisse
Kaiser Maximilians I." auf pag. 276 die Ansicht vertritt, daß das Porträt König Ludwigs im Gruppenbild auf
einer andern Naturaufnahme beruhe als das Einzelbildnis. Denn wenn man das Spiegelbild des letzteren mit
dem Gruppenporträt vergleicht, ergibt sich eine völlige Übereinstimmung der Gesichtszüge und Konturen} die
einzige Verschiedenheit liegt in den Augen des Königs, dessen Pupillen im Gruppenporträt etwas nach rechts
verschoben sind, um eine gewisse geistige Beziehung zu den übrigen Figuren des Bildes herzustellen; ich gebe
zu, daB dadurch unwillkürlich der Eindruck einer stärkeren Kopfwendung hervorgerufen wird, doch ist dies in
Wirklichkeit nur eine optische Täuschung.