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Volltext: Monatszeitschrift XIX (1916 / Heft 8 und 9)

Gruppenporträte, indem er ihnen durch die Umtaufe in „Sippenbilderml den 
Charakter von Heiligenbildern und damit auch die Eignung verlieh, zur 
Ausschmückung eines kirchlichen Raumes zu dienen. Die „Familie Kaiser 
Maximilians" erstand er wahrscheinlich schon zu jener Zeit von Strigel, 
da die Annahme des Bildes vom Hofe endgültig abgelehnt worden war. 
Hatte er doch ein ganz spezielles Interesse, dieses mit der Geschichte des 
Wiener Kongresses von 1515 so eng verknüpfte Kunstwerk für sich zu 
erwerben, da er selbst hervorragenden A'nteil an diesem großen historischen 
Ereignis genommen und darum in dem Gemälde eine bleibende Erinnerung 
an jene auch für ihn hochbedeutsamen Tage sehen konnte. Zudem stellte 
es auch die Familie seines schwärmerisch verehrten Herrschers dar und 
besaß schon aus diesem Grunde für den stets kaisertreuen Mann besonderen 
Wert. Es war daher ein schöner Gedanke, daß er gerade mit diesem Bilde 
seine Kapelle zieren wollte und auch sein eigenes Porträt nach dessen Muster 
malen ließ. Die Anordnung der beiden Tafeln ergibt sich jetzt, wo wir über 
ihre Verwendung im reinen sind, mit Leichtigkeit. Allem Anschein nach 
waren die das Maximilian-Porträt und Cuspinian-Bild enthaltenden (gegen- 
wärtig nicht mehr vorhandenen) Rahmen durch Scharniere so verbunden, 
daß die Sippendarstellung auf der Rückseite des Kaiserbildes die Außenseite 
bildete, die Gruppenbildnisse der kaiserlichen und Cuspinianschen Familie 
die Innenflächen einnahmen und die Inschrift auf der Rückseite des Cuspinian- 
Bildes den Beschluß machte. Auf diese Art bekam man eine Art zweiteiligen 
Flügelaltar, der in geschlossenem Zustande nur die „Verwandtschaft Christi" 
zeigte, also sehr gut in eine Kapelle paßte. Erst beim Öffnen boten sich dem 
Beschauer die beiden Familiengruppen dar, und zwar als erste (links) diejenige 
Maximilians 1., auf welche somit die in der Inschrift gebrauchte Bezeichnung 
„prima tabula" vollkommen zutraf. Daß dieses „Diptychon" direkt als Altar- 
tafel gedient hat, möchte ich bezweifeln, wohl aber wird man dem Werke 
einen Platz in der Kapelle angewiesen haben, der sowohl dem Range des 
Künstlers als auch der Bedeutung der dargestellten Persönlichkeiten entsprach. 
Solange Cuspinian lebte, dürfte das Sippenbild seinen Aufstellungsort nicht 
geändert haben, aber nach seinem Tode (1529) ging es wahrscheinlich 
denselben Weg wie so manches andere wertvolle Stück aus dem reichen 
Besitz des Humanisten: es wurde von verständnislosen Erben an den Meist- 
bietenden verkauft. In unserem Falle wird dieses Schicksal zunächst die 
Maximilian-Tafel betroffen haben, die _ von ihrem Pendant getrennt - 
wahrscheinlich nach dem Tode des letzten männlichen Sprossen der Familie 
Cuspinian, Nikolaus Chrysostomus Spiesheimer, der 1561 gestorben ist," in 
den I-Iofbesitz überging. Damals - es mag bald nach der Errichtung der 
" Einen ganz ähnlichen Vorgang Finden wir bei zwei im Besitze der Frau Professor Streber (München) 
befindlichen angeblichen Strigel-Bildern, die Gräfin von Oettingen mit ihren Kindern darstellend, wo in ganz 
analoger Weise über den Köpfen der Porträtierten die Sippennamen Maria Salome, johannes und Jakobus, 
beziehungsweise Maria Kleophe, Jakohus, Joseph, Simon und Judas angebracht sind. Vgl. R. Vischer im jahr- 
buch der königlich preussischen Kunstsammlungen, VI. Band, pag. 88. 
i" Vgl. Horawitz in der Österreichischen Wochenschrift, jahrgang 1872, 2. Band, pag. 382.
	        
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