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ein Jahr lang fern von seiner Vaterstadt geweilt hat." Und bloß einen Bruchteil
dieser Zeit wird er sich in Wien aufgehalten haben, wo damals infolge der
nach dem Tode Kaiser Maximilians ausgebrochenen ständischen Unruhen"
zeitweise fast anarchische Zustände herrschten, die für eine ausgebreitetere
künstlerische Tätigkeit nichts weniger als günstig waren. Man muß sich
schon wundern, daß Cuspinian, der als landesfürstlicher Stadtanwalt viel-
fachen Angriffen ausgesetzt war, damals Muße gefunden hat, sich von Strigel
porträtieren zu lassen. Aber vielleicht erklärt die alte Bekanntschaft der
beiden Männer und der religiöse Zweck der Bilder die Berufung des
Memminger Meisters. Daß dieser jedoch auch anderweitige Aufträge in
Wien erhalten habe, scheint ziemlich zweifelhaft, denn zwischen 151g und
1522 residierte kein einziges Mitglied des Hofes in Wien und unter der
Bürgerschaft überwog wohl noch die Sorge um Leben und Besitz das
Interesse an künstlerischen Dingen. So wird sich Strigels Anwesenheit in
Wien auf jenen Zeitraum beschränkt haben, den er zur Fertigstellung der
von Cuspinian bestellten Bilder benötigte, und noch im Spätherbst 1520
mag er den Wiener Freunden Lebewohl gesagt haben und nach Deutsch-
land zurückgereist sein.
Robert Stiassny hat vor Jahren einmal die Vermutung ausgesprochen,
claß ein im Kaisersaale des Prämonstratenserstiftes Wilten befindliches, auf
Leinwand gemaltes Doppelporträt Kaiser Friedrichs III. und seiner Gemahlin
Eleonore, auf welchem im Hintergrunde die Stadt Wien zu sehen ist, die
Kopie eines heute verlorenen Gemäldes sei, das Strigel während seines
Wiener Aufenthaltes im Jahre 1520 geschaffen habefk" Als Kopisten dachte
sich Stiassny einen jener Maler, die in der zweiten Hälfte des XVI. Jahr-
hunderts für Erzherzog Ferdinand im Schlosse Ambras tätig waren.
Weizinger hat sich in jüngster Zeit dieser Ansicht angeschlossen und sogar
einen bestimmten Namen für diesen Kopisten in Vorschlag gebracht-i-
Hans Folnesics dagegen, der sich in seiner Arbeit über „die herzog-
liche Burg zu Wien im Mittelalter" gleichfalls mit dem Wiltener Bild
beschäftigte-H- setzte dessen Entstehungszeit an die Wende des XV. Jahr-
hunderts und hielt es für ein im Auftrage Kaiser Maximilians von Strigel
gemaltes „Brautbild", das auch die Signatur „Bernhard Strigl" trägt. Dem-
gegenüber hat nun Moriz Dreger kürzlich festgestellt-Hi daß das Doppel-
porträt in Wirklichkeit gar nicht signiert ist und mit Strigel überhaupt nichts
4' Vgl. R. Vischer im jahrbuch der königlich preussischen Kunstsammlungen, Band VI, pag. 49.
"f Vgl. Vancsa in der Geschichte der Stadt Wien, herausgegeben vorn Wiener Altertumsverein, II. Band,
z. Hälfte, pag. 583 f.
"i" Robert Stiassny, Bildnisse von Bernhard Strigel, in Zeitschrift für bildende Kunst, Neue Folge,
III. Band (1892), pag. 25g. Eine Abbildung des Wiltener Bildes findet sich in der vom Wiener Alterturnsverein
herausgegebenen Geschichte der Stadt Wien. ll. Band, a. Hälfte (Wien 19:15), Tafel XXII, pag. 554.
1- Weizinger in der Festschrift des Münchener Altenumsvereines (München x9x4),pag. 14x.
11' Kunstgeschichtliches Jahrbuch der k. k. Zentralkomrnission für Erforschung und Erhaltung der Kunst-
und historischen Denkrnzle, Band III (xgog), Beiblatt für Denkmalpfiege, Spalte 6x. In Figur 4 bringt Folnesics
eine vergrößerte Abbildung der durch das Fenster sichtbaren Ansicht von Wien.
Hal- Baugeschichte der k. k. Hofburg in Wien von Dr. Moriz Dreger (Österreichische Kunsttopographie,
Band XIV, Wien 1914), pag. 70 l'. Als Abb. 42 der Fensterausschnitt mit dem Blick auf Wien.