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Volltext: Monatszeitschrift XIX (1916 / Heft 10)

weiblichen Gestalt, die auf dem Relief des Wunders an dem Geizhalse (Abb. 3) 
zu äußerst rechts ein Kind bei der Hand führt und den Kopf von der Haupt- 
handlung wendet, um das Geschehene einer angekommenen Gefährtin mit- 
zuteilen, ferner der Vergleich unserer Proülaufnahme (Abb. z) mit der Frau 
rechts am Relief des Fußwunders (Abb. 4), die, den Kopf etwas geneigt 
haltend, die Hände zum Heiligen adorierend emporhebt, wird uns derartige 
Übereinstimmungen in der Behandlung des Kopfes und in jener der Gewand- 
falten zeigen, daß dadurch nicht nur die allgemeine Bestimmung - Lombardi 
- erhärtet, sondern der Name Tullio für sie große Wahrscheinlichkeit 
gewinnt. Der ovale Gesichtsschnitt mit dem rundlichen Kinn, die „klassisch" 
gerade Nase, das Grübchen der Oberlippe, die leicht geteilte Unterlippe, 
der halboffene Mund, der regelmäßig gewölbte Bogen der Augenbrauen, 
die hohe, durch die Haartracht in einem Dreieck gerahmte Stirne, die 
welligen, am Scheitel geteilten Locken, welche zopfartig vereinigt die Ohren 
bedeckend, in den Nacken fließen, dann der etwas dicke, angeschwollene, 
lange und weiche Hals, den leicht angedeutete „Schönheitsfalten" zieren, 
dies alles sind Merkmale der Santo-Gestalten wie auch unserer thronenden 
Figur. 
Der Vergleich kann mit gleichem Erfolg an anderen Werken Tullios 
fortgesetzt werden. Die Nebeneinanderstellung einer Seitenaufnahme des 
Estensischen Bacchus und Ariadne-Reliefs (Abb. SV und unserer Profil- 
ansicht (Abb. 2) läßt die eben hervorgehobenen Charakteristika aufs neue 
feststellen. Man betrachte die Form der Nase und der Mundpartie, vor allem 
den etwas angeschwollenen Hals, dessen typische Bildung an einer von 
Paoletti als Spätwerk Tullios angenommenen Frauenbüste aus Marmor in 
der Sakristei von Sto. Stefano zu Venedig i": wiederkehrt, und die welligen, 
in Einzellocken behandelten Haare, die die Gesichter der Figuren umrahmen 
und bei der Estensischen Ariadne rückwärts von einer ornamentierten 
Haube zusammengehalten werden. Nicht uninteressant ist die Verzierung 
dieser Haube: dem Dekor an den Wangen des Thrones unserer Tugend- 
figur ähnlich, ähnlich auch den Ornamenten an dem reichverzierten Dogen- 
stuhl aus Holz im Tesoro di S. Marco zu Venedig, einem Werke, das zu 
Anfang des Cinquecento entstanden ist. 
Das Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin besitzt eine 17 Zentimeter 
hohe Bronzebüste eines Mädchens (Abb. 6), die mit vollem Recht dem 
Tullio Lombardi zugeschrieben wird, "o" so sehr ist sie mit gesicherten 
Werken des Meisters - man vergleiche sie mit den signierten, den Esten- 
i" Frontalaufnahme in dem Aufsatze von H. J. Hermann „Aus den Kunstsammlungen des Hauses Este 
in Wien" in Zeitschrift für bildende Kunst. N. F. XVII, Abb. rq. . 
H" Paoletti di Osvaldo, L'Architettura e la scultura del Rinascimento a Venezia, Venedig, x893, 
Seite 254. 
"" Beschreibung der Bildwerke der christlichen Epochen, Band II. Fritz Goldschmidt, Die italienischen 
Bronzen der Renaissance und des Barock, Berlin, 1914, Nr. ro. Bude, Die italienischen Bronzestatuetten der 
Renaissance, Band I, Tafel LXXVI. - Eine Replik und ein Gegenstück dieser Figur in der Galleria Estense 
zu Modena. (Siehe A. Venturi, La R. Galleria Estense in Modena, 1882, Seite gg, hier merkwürdigerweise in den 
Anfang des XV. Jahrhunderts gesetzt.)
	        
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