das „Echo du temps passe" ist hier nicht nur Etikette, es ist zum Klang geworden und
schwebt durch den Raum wie ein verschollenes Lied leiser Spinettsaiten.
In diesen Zimmern ist, wenn sie auch leer sind, ein geheimnisvolles Leben, voll
Ahnung und Gegenwart. Oft weilen auch Gestalten zwischen diesen Wänden. Und die
Menschen I-Iammershois sind dann voll Wesenseinklang mit der gesammelten innerlichen
Atmosphäre ihrer Umgebung.
Alltagsferne, dem Lärm entrüekte Geschöpfe liebt Hammerhoi, die ihre eigene vege-
tativ-kontemplative Existenz führen. Ihre Musik ist Kammermusik, oder ein einsamer
Sammler sitzt vor zwei Kerzen und betrachtet eine Münze. Meist aber ist gar kein äußeres
Geschehen um die Menschen, sie ruhen in sich und Träume Biegen durch den Raum. Man
fühlt solch Klima der Vie interieure besonders intensiv in den Bildern, auf denen die
Figuren dem Beschauer den Rücken wenden und die Nackenlinie, die Kopfsenkung, die
Haltung des Armes zu einem stark gesammelten Ausdruck inneren Zustands wird.
Bei Hammershoi erscheint alles seelisch, nichts wesenlos. Eine ganz seltsame
Wirkung geht von seinen Fenstern aus. So, wenn er einen düstern Hofschacht mit trüben
Scheibenausschnitten malt, gleich erblindeten Augen, und ein Fensterflügel steht auf und
empfängt einen verirrten Sonnenstrahl.
Hammershoi kann man am besten mit den Worten charakterisieren, die Maeterlink
von dem Holländer Franz T. Melchers brauchte: „depuis les primitifs je ne connais guere
de peintres qui aient su meler comme lui dans une expression simple et profondement
harmonieuse le dialogue exterieur et interieur des choses". Und wie bei Maeterlink selbst
so fühlt man bei Hammershoi: er verdichtet die Gewalt des Schweigens.
An Maeterlink konnte man auch in der reichen farben- und fonnüppigen
Chrysanthemumausstellung der ersten Novembertage denken.
Der Dichter, der gern sein Ben-achten in alle Erscheinungen des Lebens versenkt
und überall für sein Geheimnissuchen ein Eleusis findet, hat diesen Blumen, der Feerie
des Herbstes, ein leuchtendes Gedicht in Prosa in seinem letzten Essaiband, „Der
verschlossene Garten", gewidmet. Seine bildnerische Kunst ließ ihre vielgestaltigen Arten
in einem phantastischen Reigen aufsteigen. Solche Magie konnte man als Wirklichkeit in
dieser Ausstellung genießen. Eine verwirrende Fülle von „Kunstfonnen der Natur" ver-
einigte sich zu einem erlesenen Ausstattungsstück, das durch die Untergangsweihe seiner
Schönheit noch stärkere Reize gewann.
Die europäischen Züchter geben ihren Blumen gern Berühmtheits-, am liebsten
Millionärsnarnen. Um wie viel geschmacksreifer ist die Namengebung der Japaner, voll
Vorstellung und Anschauung. Brinckmann hat solche Benennungen überliefert: „Löwen-
mähne, Kranichflug, Schneelawine, Goldball, Herbstmond, kämpfende Wellen, grüne
Kiefernadeln, kaiserliche Goldbrokatfahne".
Solch alles ward nun sichtbar.
Man sah die japanischen Chrysanthemenhäupter, die ihre langen Blütenblätter zum
Lockengekräusel ringeln, rund wirblig, ein Tituskopf, und die indischen, die ihre Haare
lang, zerzaust, wehend nach außen hängen. Wie leidenschaftszerwühlt sind manche
dieser Blumenfrisuren und andere wieder kapriziös gewellt, tuEartig geschichtet, gleich
den Aubrey Beardsleyschen Rokokotoupes aus Popes Lockenraub.
Aus der vollen lichten Schale schweben bei gewissen Chrisanthemen lange, dünn-
gliedrige, zittrige Fäden, wie Trauerweiden-Haargezweig, und bei der sehr nuancierten
Blume „Lilli Love" wirkt dies Gehänge wie die Rieselstrahlen einer Fontaine. Stilisierte
Sonnenscheiben gibt es, Maiskolbenformationen und zackige Strahlenbündelbüsche, die
an Tiefseegebilde erinnern, wie sie Haeckels Werk „Kunstformen der Natur" abbildet.