Das eigentliche Thema dieser Ausstellung sind aber die Handzeichnungen und ihr
Reich stellt sich in vielfältiger Repräsentation dar. Chronologisch ist die Anordnung.
Graff und Chodowieckis Rokoko leitet ein. Es ist außerordentlich fesselnd für den Kenner
und Liebhaber Chodowieckischer Blätter, hier zeichnerische Originale von diesem so
liebenswürdigen und echten bürgerlichen Kleinmeister in ungewohnter Fülle und über-
sichtlichem Nebeneinander zu sehen.
Von diesen treulichen Wirklichkeitsstudien mit ihrer freudigen „Andacht zum
Unbedeutenden", schreitet man fort zu den pathetischen Gesten und den idealen Fernen der
Carstens, Schadow und den heroischen Visionen Bonaventura Genellis. Peter Cornelius
und Schnorr von Carolsfeld bilden den Schluß dieses Weihe- und Feierlichkeitordens.
Eine liebliche innigere Welt zeigt sich dann in dem Werke Schwinds und Steinles.
In seinem Märchenfabulieren mit dem Stift ist uns Schwinds Beschaulichkeitswesen
heute viel näher als in seinen Gemälden. Schalkhaft wirkt der originelle Reiterfries und voll
deutscher Waldstimmung - Simplizius Simplizissimus -- ist der Einsiedler mit dem Tod.
Wie drüben in der Nationalgalerie so ragen auch hier die Kabinette der Hamburger
Kunst hervor. Oldach, Jansen, Runge, Waßmann, Erwin Spekter halten auch hier die
Maßstäbe aus, die man drüben für sie genommen.
Ein anderer Favorit entdeckungsfreudiger Wiederbeleber, der Dresdener Kaspar
David Friedrich besteht dafür hier nicht so gut wie seine Hamburger Gefährten der
„fröhlichen Urständ". Seine Landschaftsskizzen haben für sein sonst so originelles Sehen
etwas merkwürdig Neutrales und was von ihm unterhält, ist mehr kurioser-kultureller Natur,
wie seine Studien von Perücken- und l-Iaubenstöcken, als von absoluter reiner Kunst-
Wirkung.
Im artistisch-geographischen Panorama fortschreitend trifft man in Weimar Preller
und Richter,in München Piloty und Kaulbach, in Düsseldorf, das besonders vorteilhaft ver-
treten ist, Achenbach, Rethel und den vorher schon in anderem Zusammenhang betrach-
teten Hasenclever.
Neuere Zeiten stellen sich zum Schluß dar. Einefabelhafte Menzel-Kollektion dominiert.
Eine Wiederbegegnung gibt es mit den leuchtenden Aquarellen Rudolf von Alts, die man
in der retrospektiven Abteilung der vorjährigen großen Kunstausstellung bewunderte:
schimmernder juwelen- und Emailglanz alter Kircheninterieurs unddie exotischen Land-
schaften mit den Märchenschlössern orientalischer Fürsten.
Dann gelangt man schließlich zu der Gruppe, die in der Nationalgalerie den Anfang
macht. AnselmFeuerbach führt hier wie drüben. Rötelzeichnungen vonGröße derKonzeption
und Hoheit der Formgebungen zwingen zu bewunderndem Verweilen. Böcklin ist hier
zeichnerisch rnit einer sehr fein erfaßten Tanne in der Schneelandschaft vertreten, und
Blätter von Lenbach und Thema geben reizvolle Blicke in die Werkstatt und in die Tage-
bücher der Großen.
Ein Kapitel gibt es noch extra zu behandeln. Vor Blechens lnterieurbildern verzeich-
neten wir unseren Eindruck einer künstlerischen Bühnendekoration. Nicht nur dem Ein-
druck nach, sondern wirkliche Dekorationsentwürfe gibt es hier. Und von einem Meister
sind sie, von Schinkel.
Szenerien zur „Zaubertlöte" sieht man. Zu den Mysterien der Feuer- und Wasser-
wanderung eine Grotte im Vordergrund mit Tropfsteingebilden, Hammenumloht und
gießbachumspielt, darüber herauswachsend eine feierliche Treppe mit Sphinxen und über
deren Hintergrundwand aufsteigend der Wald von Säulenkapitellen einer Tempelarchi-
tektur. In der dreifachen Abstufung dieses Bühnenbildes, in der Mischung andeutender
Motive, die mehr ahnen als schauen lassen, liegt die Stimmungskraft dieser Dekoration.
Eine andere Zauberüötenszene - die bildnerische Komposition des Motivs „Alles
fühlt der Liebe Freuden" - ist eine Stimmung in Blau: blaue Mondnacht, weite blau-
schwimmende Wassertläche, inmitten die Insel mit der kolossalen Sphinx und der Sil-
houette einer Palme gegen den Himmel.