höher getürmte weißkahle Spitzen, zur Seite die Abgrundpforte zur Unterwelt.
Noch fällt ein dekorativer Entwurf zum Ferdinand Cortez auf, der zu einer modernen
Shakespeare-Aufführung gut stimmen würde: ein weiter Wasserspiegel in die Ferne
gehend, im Vordergrund ein weißes Wipfelmeer von Zeltspitzen mit wehenden Fähnchen,
aus tieferliegendem Waldgebüsch auftauchend. Die suggestive Wirkung liegt hier darin,
daß man das wirkliche Lager gar nicht sieht; der Anblick dieser hellen Zeltdächer, die
sich schimmemd und Himmernd in der Luft zusammendrängen, zaubert erregend eine
viel großartigere Vorstellung des Heerlagers in die Einbildung, als wenn der unvoll-
kommene Raum der Bühne mit einigen Zelten in Lebensgröße ausgefüllt wäre.
Ein vortrefiliches Beispiel solcher illusionierenden Technik gibt endlich die „Land-
schaft im südlichen Charakter". Sie ist zwar nicht als ein Bühnenbild bezeichnet, könnte
aber ohne weiteres dafür verwendet werden: ein Gartenrundaltan - entsprechend dem
Kreisrand eines Drehbühnenausschnittes - begrenzt den Vordergrund mit einem Stein-
geländer, ein mächtiger Baum mit Hängegezweig füllt ihn. Ein Bergkranz um eine Bucht
schließt den Hintergrund.
Diese Entwürfe haben heute für uns ein besonderes Interesse, da sich manches in
ihren Anlagen mit den gegenwärtigen Bemühungen um eine neue dekorative Einstimmung
der Bühne berührt.
Was Gordon Craigh und Alfred Roller erstreben, die Illusionswirkung durch optische
Mittel der Farbe und Beleuchtung, durch Flächenstilisierung, durch mehr andeutende,
die Phantasie in Schwingung bringende Ausblicke statt unvollkornmener, im Detail sich ver-
lierender Naturnachahmung, das scheint auch für diese Schinkelschen Entwürfe schon
maßgebend gewesen zu sein. So ist zum Beispiel das Alkeste-Bild des Felsgebirges ver-
wandt der steinigen Öde, die Roller dem letzten Akt des I-Iofmannsthalschen Ödipus gab,
gemäß der motivischen Anregung des Dichters: „Nur die großen Formen sind dem Auge
sichtbar". Und verwandt ist hier auch sonst manches den Reinhardtschen Bühnen-
tendenzen, mit Durchblicken, Perspektiven, Bühnenteilungen zu arbeiten, die die Phantasie
zum Weiterbilden und schöpferischen Mitschwingen erregen.
Max Reinhardt, der jetzt im Deutschen Theater der Herr ist, hat diese bühnen-
reformatorischen Bestrebungen anregungstark in die Tat umgesetzt. Nicht, wie Miß-
verstehende behaupten, hat er eine neue Periode der „Ausstattung" heraufgeführt, sondern
seine Tendenzen gingen von Anfang an auf das Gesamtkunstwerk. Er wollte die dekora-
rativen Künste als Resonanz für die seelische Stimmung; die Aufgabe eines optischen
koloristischen Orchesters sollten sie erfüllen.
Und die künstlerische Chronik darf diese wichtigen Bewegungen nicht übersehen.
Der Vergleich mit dem Orchester kann besonders deutlich machen, um was es sich
hier handelt. Wie in Wagners Musikdramen die Gefühlsvorgänge der Szene im Orchester
eine Doppelspiegelung voll starker Reüexe erhalten und dadurch von viel stärkerer Ein-
druckskraft sind, so kann auch durch das Bühnenbild mit seinen Mitteln der Farben,
Formen, Beleuchtungsnuancen eine dem Vorgang durchaus parallele Stimmung geschaffen
werden, die nun vervielfacht in alle Sinne des Zuschauers und Zuhörers einzieht und ihn in
Bann zwingt.
Solch dekorative Instrumentation haben die Empfänglichen auf den Bühnen Max
Reinhardts zuerst wohl in Maeterlinks Pelleas und Melisande erlebt.
In diesem Gedicht voll Verwunschenheit, Sehnsucht, Traum und Tod wurden
wirklich die Geschehnisse und Situationen, die des Dichters Worte verkünden, in Bilder,
in Gefühlslandschaften umgesetzt. Das Klima, in dem die Ahnungen und Wesenszüge
dieser Dichtung wurzeln, ward sichtbar darstellerisch verkörpert, und dadurch ward alles
überredender, suggestiver.
Da war der Märchenwald voll geheimnisvoller Ferne, im Glitzerlicht auf streitigen
Stämmen, voll Schweigen und Unergründlichkeit, in dem Melisande, das holde Wunder,