ECESSION. Die X. Ausstellung derSecession ist, zum Unterschiede von den früheren,
ausschliesslich von Mitgliedern besorgt. Wiederum ist das Innere des Gebäudes, nach
Dispositionen Josef Hoffmanns, von Moser, Pletschnik und Leopold Bauer ausgeführt, ein
neuerfundener Raum von origineller Wirkung. Der viereckige Mittelraum, der seine Rück-
seite dem Eingange zukehrt, hat nämlich gegenüber ein grosses flaches I-Iemicycle, das durch
eine Reihe von Porträts in eine Porträtgallerie verwandelt ist. Der glückliche Gedanke hat
auch im Publicum grossen Anklang gefunden. Am meisten freilich beschäftigt sich dieses
mit dem neuen Deckenbilde Klimts für die Aula der Universität. Diesmal ist es die „Medicin",
oder wie sie privatim heisst: die „Hygiea". Selbstverständlich hat auch sie einen grossen
Sturm der Meinungen entfesselt. Die Wogen der Entrüstung schlugen bis ins Parlament
hinein, in Feuilletons, am Vorlesetisch und im „Eingesendet" wurde das Streitthema des
Tages leidenschaftlich besprochen. Der Inhalt des Bildes ist dem der „Philosophie" analog.
Wiederum ist es eine leuchtende Gestalt, diesmal die l-Iygiea, in Purpur und Gold, der zu
Häupten das Gewühl der Menschheit dahintreibt, Personiiicationen von Lust und Leid, von
Leben, Dulden und Sterben, und mitten in dem Getümmel der Gestalten der knöcherne Tod,
dem sie alle verfallen sind. Unter den anderen Bildern Klimts ist eine modern archaisirende
„]udith", ein Phantasiestück von apartem Reiz, mit der noch unvergessenen Pallas Athene
verwandt. Dazu kommen zwei interessante Damenporträts und einige Landschaften, unter
denen ein sehr persönlich gesehener ,.Attersee" vom Ministerium angekauft wurde. In der
Porträtgalerie sind einige Bilder ganz hervorragend. So die beiden alten Damen Bachers,
in schwarzem Strassenanzug, von ungemein sympathischem Wesen, auch der gediegenen,
harmonischen Malweise wegen, dann das coloristisch üppige von Mehoffer (Krakau), das
urwüchsige Stegreifbild Andris (der Bildhauer Schimkowitz), ein keck charakterisirtes
Herrenporträt Engelharts, ein japanisirendes Damenbildnis der begabten Frau Luksch-
Makowsky u. s. f. Unter den Landschaften sind zunächst die stillen, feinen Bilder Molls zu
nennen, dern aber auch die Lösung eines hochmodernen Beleuchtungsproblems gelungen
ist: ein Speisesaal mit gedecktem Tisch und drei lebensgrossen Figuren, die vorne von
elektrischem, rückwärts von kaltem Schneelicht aus dem Garten her beleuchtet sind. Auch
Bernatzik ist in einer Weihnachtsvision mit farbigen Nebeln und weissgeiliigelten Engeln
sehr poetisch. Lists Kirchgang ist, namentlich in seinen weissen Dingen, sehr fein,
Friedrichs vortreffliche Schneeschaufler (vom Ministerium angekauft), Lenz' landschaft-
liches Triptychon u. a. bedeuten starke Fortschritte. Sehr eigenartig tritt die Plastik auf.
Richard Luksch hat rnit seinem „Wanderer" eine neue Note angeschlagen. Eine lebens-
grosse nackte Figur, kraftvoll aus Eichenholz geschnitzt, wandert über felsigen Boden
(grauer Stein), der um ihn her allerlei schreckende Menschen- und Thierformen annimmt.
Es sind die Gedächtnisbilder des Lebenswanderers. Das ist alles mit ungewöhnlichem
Talente gestaltet, und in technischer Hinsicht dürfte das Werk nicht isolirt bleiben, vielmehr
den Geschmack für weitere Möglichkeiten der grossen Holzplastik wieder beleben. Auch
einige plastische Phantasiestücke des jungen Polen Biegas (Krakau), wohl von Rodin
beeinflusst, erregen viel Aufmerksamkeit, Schimkowitz' grosse Christusstatue (von der
Regierung bestellt) macht durch die Zurückführung von Form und Ausdruck auf die
einfachste Formel einen starken Eindruck. Auch Otto Wagner ist diesmal unter den
Ausstellern. Man sieht seinen von Paris zurückgekehrten Entwurf für einen Neubau der
Kapuzinergruft (mit Gedächtniskapelle für weiland Kaiserin Elisabeth) und einen für das
Museum der Stadt Wien. Sie sind nach den bekannten Grundsätzen des Künstlers mit
grosser Umsicht durchgearbeitet, Einzelheiten würden unseren dermaligen Raum über-
steigen. Ferner ist eine Vitrine voll modernen Silbergeräths, nach Wagners Entwürfen
von Klinkosch ausgeführt, ein Hauptstück der Ausstellung. Einige erlesene Möbel von
Hofmann und Moser fehlen nicht; ein Mosefscher Kasten von knappstem Biedermaierformat
ist aufs niedlichste mit Intarsien verziert: sechs Prinzessinnen mit Elfenbeinprofilen und
fallenden Perlmutterthränen.